Stoff für viele Leichen
machen.“
Die beiden hauten ab. Ich blieb alleine bei
Richard. Kurz darauf kam Monsieur Barthe-Maireaux. Es war tatsächlich der Mann
auf dem Foto in der Sonderausgabe der Bonne Nouvelle, vornehm und würdig gekleidet, wie es Stellung
und Alter erforderten. Seine Haare hatte er, fertig gekämmt, beim
Perückenmacher gekauft, die feingliedrigen Hände waren weiß und gepflegt. Die
eine knetete ein Paar Pekari-Handschuhe, die andere hielt einen Filzhut, aus
bestem Atelier. Er betrachtete mich durch sein Monokel mit Sympathie. Ich
merkte, daß ihm mein Gesicht mehr zusagte als das von Richard. Nach den
üblichen Höflichkeitsfloskeln und Plattheiten sagte er:
„Monsieur Richard hat Sie bestimmt schon
unterrichtet?“
„Mehr oder weniger. Aber ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie selbst mir den Fall auseinandersetzen würden.“
„Also gut. Victor Marcellin, Journalist, Hotel
Macé, Rue du Mail. Arbeitete bei dem Wochenblatt Aujourd’hui. Wir möchten, daß Sie herausfinden, wo er steckt.
Einer meiner Klienten braucht ihn unbedingt, um eine größere Erbschaft
anzutreten.“
„Ist er verschwunden?“
„Sieht so aus.“
„Schon lange?“
„Seit vorgestern. Wir haben keine Zeit mehr zu
verlieren.“
„Haben Sie den Verdacht, daß er unter...äh...tragischen
Umständen verschwunden ist? Entschuldigen Sie, aber in unserem Beruf...“
Zweifelnd verzog er den Mund:
„Ach, dazu gibt’s keinen Grund. Jedenfalls glaub
ich’s nicht. Diese jungen Leute sind unberechenbar, und...“
„Ja, ja. Ob blond, ob braun...“
Er nahm die Erklärung bereitwillig auf.
„Vielleicht...“
Und vielleicht hatte seine Zeitschrift ihn auch
wegen einer Reportage auf Reisen geschickt. So was soll ja Vorkommen, sogar bei
Reportern. Diese Überlegung behielt ich aber besser für mich. Stattdessen
fragte ich:
„Haben Sie außer Namen und Adresse noch andere
Anhaltspunkte?“
„Na ja, wir wissen nur, daß der junge Mann das
Hotel Macé vorgestern verlassen hat, ohne zu sagen, wohin er ging. Hat nur eine
Reisetasche mitgenommen. Sein Zimmer hat er nicht gekündigt. Ist seit einiger
Zeit Dauermieter in diesem Hotel. Wir haben uns auch bei der Direktion des Aujourd’hui erkundigt...“
„Seiner Zeitung?“
„Ja. Er ist vor fast einem Monat entlassen
worden.“
„Ist das alles?“
„Das ist alles, was wir wissen.“
„Sie haben nicht zufällig ein Foto von ihm?“
„Von Victor Marcellin?“
„Ja.“
„Nein. Bedaure...“
„Das macht nichts. Ich werd mir eins bei seiner
Zeitung besorgen, oder sonst irgendwo. Können Sie mir ihn wenigstens
beschreiben?“
„Ich habe ihn nur einmal gesehen. Außerdem sind
Personenbeschreibungen nicht meine Stärke. Ich hab das schon Monsieur Richard
erzählt. Er ist etwa fünfundzwanzig Jahre, verstehen Sie? Diese jungen Leute
sehen sich heutzutage alle ziemlich ähnlich. Ich weiß nicht, ob Sie’s auch
schon bemerkt haben...“
„Das macht der Einfluß der Illustrierten“,
seufzte ich. „Sie möchten alle so aussehen wie die Titelbildhelden. Meinen,
dann sähen Sie besser aus.“
„Ach ja“, lächelte Monsieur Barthe. „Jetzt fällt
mir’s wieder ein. Der Journalist braucht einen Schönheitschirurgen. Seine Nase
ist etwas schief.“
„Na schön“, sagte ich und stand auf. „Ich
glaube, ich fange am besten gleich mit der Suche an.“
Monsieur Barthe stand ebenfalls auf.
„Ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, Monsieur
Burma...“ Ich gab ihm meine richtige Adresse, er mir seine falsche, wobei er
noch einmal sagte, ich müsse den Vornamen — Jérôme — nennen, wenn ich ihn
anrufen würde. Dann ging er. Ich ließ ihm einen kleinen Vorsprung und ging
ebenfalls weg. Antoine Richard bat mich, ich solle mich wieder an ihn wenden,
falls ich nochmal so einen Fall zu bearbeiten hätte.
* * *
Die Redaktion des Aujourd’hui befand sich in demselben Gebäude in der Rue
Réaumur wie der Crépuscule. Also ging ich zunächst mal zu Marc Covet. Ich fand den Schluckspecht in der
obersten Etage, wo die Fläschchen keine Tinte enthalten.
„Aha, schon wieder in der Bar?“ sagte ich.
„Man hat von hier solch eine gute Aussicht auf
Paris“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Dabei saß er in einer Ecke des
kleinen Raumes, mit dem Rücken zum Panorama, aber mit Ausblick auf die tollen
Kurven der Bedienung. Sie war wohl grausam zu meinem Freund, denn seine
Stimmung schien düster zu sein. Ich setzte mich zu ihm und sah mir ebenfalls
das blonde Kind an. Zwischen einem
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