Stollengefuester

Bergen. Trotz der Kälte stand er mit nichts als einer Latzhose bekleidet da. Seine Arme, seine Brust und sein Hals waren mit Tätowierungen bedeckt. Sein Oberkörper war die düstere Landschaft des kriegerischen Grauens.
    Aber Hene musste an Gewicht zugelegt haben seit der letzten Tätowierung. Die Totenköpfe sahen aus wie verkohlte Omelette, die Streitäxte hatten sich zu krummen Bohnenstangen verzogen. Das wilde Tier auf seinem rechten Oberarm musste ursprünglich ein Pferd gewesen sein. Ein aufsteigender Hengst. Jetzt sah es aus wie ein übergewichtiges Mammut.
    Die grauschwarzen Strähnen waren mit einem Lederband am Hinterkopf zusammengebunden.
    Das also war Hene Hari. Er stemmte die Fäuste in die Seiten und schaute die beiden an.
    Sie nickte dem Riesen freundlich zu.
    »Ich bin Nore Brand und«, sie deutete hinter sich, »das ist Nino Zoppa.«
    »Hene«, antwortete der Riese mit sanfter Stimme.
    Er wischte seine öligen Hände an den Hosen ab und begrüßte sie. Ihre Hand verschwand in seiner Pranke.
    Nino versteckte sich hinter einem Flugzeug. »Wahnsinn, so ein Hunter. Ich habe noch nie einen so nah gesehen«, murmelte er.
    »Mein Baby«, erklärte Hene liebevoll, trat zur Maschine und tätschelte liebevoll den glänzenden Metallrumpf.
    »Eine halbe Stunde fliegen kostet zwei Monatslöhne!«, rief er Nino zu.
    Er zwinkerte Nore Brand zu. »Aber keine Angst, ich bin nicht der Pilot. Bin zu groß und zu kräftig gewachsen für so etwas. Bin schon so auf die Welt gekommen.« Er registrierte Nores Blick auf seine Oberarme. »Dafür bin ich selbst verantwortlich. Ich habe mich als Übungsfläche für meine kleine Schwester zur Verfügung gestellt. Sie hat einen Laden in Zweisimmen, so einen Tattoo-Shop und der scheint gut zu laufen. Ich bin ihre private Werbefläche. Die beste dazu und alles gratis natürlich.«
    Er lachte gutmütig.
    »Leider kann ich keine Flug-Reservationen entgegennehmen. Namen und Telefonnummern müsst ihr dort nachlesen.« Er deutete auf das Anschlagbrett am Hangar.
    Ein heftiger Wind fegte über die Landebahn.
    »Wir kommen in einer anderen Angelegenheit. Wir sind dabei, die Flugbewegungen etwas im Auge zu behalten.«
    Nore Brand zeigte ihm rasch ihre Dienstmarke.
    Hene Hari stutzte.
    »Flugbewegungen?« Er lachte dann leise. »Aha, Flugbewegungen. So sagt man bei euch. Interessant.«
    Seine Stimme machte klar, dass er das überhaupt nicht interessant fand. Im besten Fall hielt er das für lächerlich.
    Er stemmte seine Hände wieder in die wuchtigen Seiten und schaute die beiden Fremden an.
    »So, so, Flugbewegungen sollen kontrolliert werden.«
    »Und sonst noch das eine und andere.«
    »Hm. Das eine und andere. Was ist denn jetzt wieder los?«
    Der Riese schien sich genau zu überlegen, was er mit diesen beiden anfangen sollte.
    Er nahm sich alle Zeit der Welt. Und schaute von Nore zu Nino und zurück.
    »Und wer hat euch zu mir geschickt?«
    »Elsi Klopfenstein und Polizist Bucher.«
    »Und bevor euch noch jemand herbefehlen konnte, habt ihr euch auf den Weg gemacht.«
    Er wies mit dem Kinn zum Bus.
    »Ein schönes Wägelchen habt ihr da. Habe das schon mal gesehen, in Zweisimmen. Elsis Freund, nicht war?«
    Wer in diesem Tal ein Auge für Oldtimer dieser Art hatte, wusste sofort, mit wem sie unter einer Decke steckten. So viel zur perfekten Tarnung. Sie hätte daran denken müssen, aber nun war es zu spät.
    »So ist es.«
    Auch Nore Brand hatte nichts zu überstürzen. Sie hatte eine ganze Woche Zeit. Und diese Zeit würde es richten. Tue nichts und du wirst alles erreichen. Tao.
    Auf dieser Startbahn konnten sich zweifellos sämtliche Bewohner des Simmentals zu einer gemeinsamen Tai-Chi-Runde versammeln. Sie stellte sich das vor. Ein heftiger Kontrast zu den Düsenjägern, die Fauna und Flora zu Tode erschreckten.
    Sie stand da und wartete.
    Der Riese schaute die schweigende Polizistin an. »Elsi Klopfenstein schickt euch also zu mir.«
    »Ja.«
    »Hm.«
    »In letzter Zeit bewegt sich hier oben allerhand. Ich weiß nicht, was los ist. Mit dem Militär hat man ja tüchtig abgebaut.«
    Sein Blick ging ans Ende des Tals.
    »Aber eben, man weiß nicht alles, muss auch nicht alles wissen, was da geschieht. Das Militär hat ja immer noch so Geheimnisse hier oben. Uns kümmert das nicht groß.« Hene Hari lächelte. »Wir leben hier unser Leben und die da sollen ihre Freude haben an Militärspielchen. Solange wir unsere eigenen Spielchen hier auch haben dürfen.« Er wies auf den Hunter.