Stollengefuester
ich im Dienst gekifft habe?«
Sie hob die Augenbrauen. »Im Dienst?«
Sie faltete die Zeitung zusammen.
»Nein, mir scheint, du hast ein bisschen Überstunden abgebaut. Und das ganz zufällig in einem Amsterdamer Gemüseladen. Oder etwa nicht?«
»Ja«, sagte er erleichtert. »In einem tollen Gemüseladen.«
Er grübelte. »Habe ich mich blöd benommen?«
»Und wie! Du hast nur noch gekichert und behauptet, die ganze Welt stehe schief.«
Er lachte. »Das tut sie doch, oder?«
»Ja«, gab sie zu, »irgendwie schon.«
Er atmete auf und steckte den zweiten Stöpsel ins Ohr.
Sie holte ihr Notizbuch aus der Tasche und wedelte damit vor seiner Nase herum.
»Es ist Zeit zu rekapitulieren.«
»Das haben wir doch eben!«
»Nein, haben wir nicht.«
Nino Zoppa zuckte zusammen. Rekapitulieren mit Nore Brand war fast so schlimm, wie früher unter der Anleitung der Mutter Hausaufgaben zu erledigen.
Nur lohnten sich hier keine Ablenkung und kein Aufstand der Welt.
»Bei jedem Namen sagst du mir, was dir einfällt dazu. Wir machen es zur Abwechslung mal so. Wir haben leider viel Zeit dafür.«
Sie blätterte in ihrem Büchlein.
»Wir bleiben am besten im Grandhotel Belvedere. Was meinst du zu Doktor Fischer?«, fragte sie.
»Weiß nicht. Das ist lange her.« Er dachte nach. »Ich glaube, der hasst dich, weil du ihn vor einem Jahr bloßgestellt hast.«
Sie schaute ihn erwartungsvoll an.
»Ich glaube, der passt nicht in die Geschichte. Der Mann hat immer einen knallroten Kopf. Der bekäme einen Herzinfarkt, wenn er wüsste, dass wir ihn verdächtigen. Nein, bei dem liegt nichts drin.«
»Und ein Geheimnis hat er nicht?«
»Der und Geheimnisse? So einer kann nichts zurückhalten. Der hält nichts von Geheimnissen. Der legt alles, was er weiß, auf ein großes Tablett vor sich hin und reißt seine große Klappe auf …«
»… und bittet die ganze Welt, sein wunderbares Wissen zu bewundern«, führte sie seinen Satz zu Ende.
»Ja, genau.«
»Vielleicht ist das Tarnung. Wir sollten ihn trotzdem unter die Lupe nehmen. Wer war noch da? Oh ja, Ricardo Benvenuto alias Richard Schmied.«
»Das ist ein eitler Geck«, sagte Nino Zoppa rasch.
»Eitler Geck?«, wiederholte Nore Brand überrascht. »Du kennst ja Worte.«
»Unsere Nachbarin unterrichtet an der Schauspielschule. Sie braucht manchmal solche Wörter. Vermutlich kann sie gar nicht anders.«
Nore Brand amüsierte sich.
»Also, kommt Herr Schmied infrage?«
»Genauso wenig oder genauso viel wie Doktor Fischer.«
»Das heißt?«
»Im Grunde hält er sich für einen Künstler.«
»Ein Geheimnis der kriminellen Art würde zu ihm passen.«
»Ja. Ich finde. Du?«
»Er hat keinen Tiefgang.« Außerdem schien es ihm zu genügen, Frauen eins auszuwischen. Sie erinnerte sich an das unangenehme Gespräch. Leider gab es keine Paragrafen für Fieslinge.
»Die Witwe des Direktors?«
»Die ist verliebt und kann offensichtlich nicht mehr geradeaus denken.«
»Traust du ihr das zu?«
»Dass sie richtig denken kann oder kriminelle Neigungen hat?«
»Beides.«
»Ja. Ihr traue ich viel zu. Sie ist undurchsichtig.«
»Undurchsichtig?«
»Ja, undurchsichtig.«
»Wenn sie durchsichtig wäre, würde man direkt ins Nichts schauen.«
Nore Brand lachte überrascht. »So philosophisch! Und wenn das Allerschlimmste tatsächlich aus dem Nichts auftauchen würde?«
Nino zuckte zusammen.
»Das wäre sehr unangenehm.«
»Und wie!«
Nore Brand schob das Büchlein wieder in die Jackentasche.
»Dann wäre noch der Mann vom Empfang. Ich habe mir seinen Namen nie merken können. Dummerweise habe ich ihn nicht aufgeschrieben.«
»Das Krawattenfrettchen? Der kommt nicht infrage, der ist zu hohl.«
Draußen flogen Bauernhöfe vorbei, Kanäle, die das fahle Abendlicht auffingen.
»Ich komme mir seit Tagen vor wie irgendetwas zwischen Fähnlein Fieselschweif und James Bond. Anfang der Woche lagen wir zu dritt in dieser Felsenkaverne und kamen fast um vor Angst.«
»Eher Fähnlein Fieselschweif als James Bond. Tick, Trick und Track, das passt besser.«
»Huey, Dewy und Louie«, ergänzte Nore Brand. »Wir halten uns von jetzt an besser an Originale.«
Nino lachte, doch Nore Brand blieb ernst. »Heute erklärte uns ein Mann von Interpol, dass uns dieses Steinchen tatsächlich in eine dumme Lage bringen könnte.«
»Der Alexandrit«, sagte Nino Zoppa. »Du hast ihn hoffentlich noch!«
Nore Brand nickte.
Er war immer am gleichen Platz, in der kleinen Tasche rechts, dort,
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