Stolz und Leidenschaft: Roman (German Edition)
zu sehen. Wenn sie das Dach fertigstellten und die Burg wetterfest war, dann würden sie die Arbeit im Inneren auch während des Winters fortsetzen können.
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und tauchte die Hände in den Eimer mit Seifenlauge neben sich, um den Lappen auszuwringen. Doch das Leinen sah danach nicht sauberer aus, da das Wasser schon völlig schwarz geworden war. Mit etwas Mühe stand sie auf. Sie fühlte sich wie eine alte Frau, denn ihre Knie waren steif und schmerzten, da sie fast den ganzen Tag auf dem eiskalten Stein gekniet hatte. Den Ruß von den Böden und Wänden zu schrubben schien ein schier endloses Unterfangen zu sein. Sie war seit zwei ganzen Tagen damit beschäftigt, und immer noch war kein Ende in Sicht.
»Hier, lasst mich das machen, Mistress«, sagte eine der jungen Dienstmägde und kam auf sie zu.
»Ist schon gut, Beth, ich muss mir ein wenig die Beine vertreten.« Nachdem sie den Eimer mit Schmutzwasser aufgehoben hatte, ging Caitrina zum Fenster – nicht mehr als ein Loch in der Wand ohne die Fensterläden und das Glas –, um ihn auszuschütten, bevor sie zum Brunnen im Burghof hinunterging, um frisches Wasser zu holen.
Sie warf einen Blick nach unten, um sicherzugehen, dass niemand unten stand, und gefror mitten in der Bewegung. Was paradox war, denn plötzliche Hitze durchströmte ihren Körper. Man musste einfach zweimal hinsehen, wenn ein großer, starker Mann eine Axt schwang, und man konnte den Blick nicht mehr abwenden, wenn dieser Mann Jamie war. Trotz der Kälte hatte er sein Plaid abgelegt, und das Hemd klebte ihm am Körper und betonte das Spiel seiner Rückenmuskeln, während er die Axt in hohem Bogen über den Kopf schwang und mit einem widerhallenden Schlag niedersausen ließ.
Caitrina hielt den Atem an. Als spüre er ihre Augen auf sich, sah er über die Schulter, und ihre Blicke trafen sich für einen Augenblick, der das Herz stehenbleiben ließ – und in dem sich ihre Trennung endlos zwischen ihnen auszudehnen schien –, bevor sie sich schnell außer Sicht duckte. Mit dem Rücken an die Steinmauer gepresst versuchte sie, ihren Atem wieder zu beruhigen, und fühlte sich wie eine Närrin. Sowohl deswegen, weil er sie dabei ertappt hatte, dass sie ihn anstarrte, als auch wegen ihrer Reaktion. Wie konnte er nur eine solche Wirkung auf sie haben? Es war schließlich nicht so, als habe sie noch nie einen Mann mit einer Axt gesehen – allerdings zugegebenermaßen keinen, der eine so schiere Körperlichkeit ausstrahlte. Eine Körperlichkeit, mit der sie aufs Intimste vertraut war.
Das war das Problem. Sie hatte ihn nackt gesehen, wusste, wie es sich anfühlte, über all diese warmen, harten Muskeln zu streichen. Wusste, wie es sich anfühlte, all diese Hitze und Stärke in sich zu spüren. Sie vermisste diese Verbindung. Sie vermisste ihn.
Gerade wollte sie schon vom Fenster weggehen, als sie einen lauten Schrei hörte, gefolgt von Jamies tiefer Stimme: »Achtung!«
Ihr Pulsschlag schoss panisch in die Höhe, und sie lief, das Schlimmste befürchtend, zurück zum Fenster. Doch als ihr Blick in die Richtung des Zwischenfalls flog, sah sie, dass die Situation bereits wieder unter Kontrolle war. Wie es schien, hatten zwei der jüngeren Clansmänner einen riesigen Stapel Holzbretter nach oben balanciert, doch als sie versuchten, die neue Treppe hochzugehen, hatte sich das Gewicht des Stapels zu dem hinteren Mann verlagert.
Was hatten sie sich nur dabei gedacht? Das war viel zu viel Holz, als dass zwei Männer es tragen konnten. Der Junge hätte stürzen, oder noch schlimmer, von den schweren Balken zerquetscht werden können, doch Jamie war dazugeeilt
und hatte mit starkem Arm geholfen. Einem sehr starken Arm. Seine Muskeln wölbten sich, als er sich dem Gewicht des rutschenden Holzes entgegenstemmte. Ihr Blick glitt von seinen Armen über den kräftigen Oberkörper und den flachen Bauch zu seinen muskulösen Beinen, die in staubbedeckten Lederhosen steckten.
Sie tat es schon wieder. Ihn anstarren.
Doch es war nicht nur körperliche Anziehung, die sie in den Bann schlug. Seit ihrer Auseinandersetzung vor ein paar Tagen ertappte sie sich immer wieder dabei, wie sie ihn beobachtete – nay , studierte. Er war wie ein Rätsel, das sie zu lösen versuchte … wenn auch im Dunkeln. Er verriet nichts von seinen Gedanken und behandelte sie wie immer, mit Rücksicht und Aufmerksamkeit. Er hielt sein Wort und gab ihr Zeit; er verbrachte sogar mehr Zeit
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