Stolz und Verlangen
Haar. Der Zeitpunkt für dieses unerwartete Geschenk hätte nicht ungünstiger sein können. »Ich kann von Ihnen nicht verlangen, dass Sie einen Adligen zur Rede stellen. Wenn die Sache schiefläuft, könnte das für Sie die Todesstrafe bedeuten.«
»Genau dafür gibt es Tarnungen, mein Freund.« Lynd grinste. »Ich werde diesen Anzug anziehen, den Sie für mich ausgesucht haben, und eine Perücke aufsetzen. Sollte Montague später versuchen, mich zu identifizieren, wird er eine völlig andere Person beschreiben. Mit etwas Glück werde ich es sogar pünktlich zur Trauung schaffen.«
»Montague ist das Kreuz, das ich zu tragen habe.«
»Herrgott!« Lynd schüttelte den Kopf. Sie wissen, wie ich über Ihren Rachefeldzug denke – das hilft Ihrer Mutter jetzt auch nicht mehr. Sie sind Ihrem Ziel schon so nahe, und ich könnte ruhiger schlafen, wenn ich weiß, dass Sie endlich mit der Vergangenheit abgeschlossen haben. Doch wie ich die Sache sehe, gelingt Ihnen das nicht, bevor Sie im Besitz von Montagues Grundstück sind.«
Jasper senkte den Kopf. Sein Leben lang hatte er nur danach gestrebt, seiner Mutter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Und jetzt, da nach Jahren der Planung das Ende in Sicht war, musste er sich eingestehen, dass ihm Eliza wichtiger war. Vor die Wahl gestellt, Montagues Untergang endgültig zu besiegeln oder Eliza zu heiraten, geriet er nun in einen tiefen inneren Konflikt. Obwohl ihm bei dem Gedanken, Montague könne ihm entwischen, der kalte Schweiß ausbrach und sein Magen sich verkrampfte, war diese Reaktion nur ein Schatten dessen, was Elizas Verlust in ihm auslösen würde.
Innerlich zerrissen, stieß er hervor: »Und ich werde gewiss nicht ruhig schlafen, bevor ich meinen Plan zu Ende ausgeführt habe. Montagues Ruin war alles, wofür ich gelebt habe. Wie kann ich so kurz vor dem Ziel aufgeben? Wie könnte ich morgens noch in den Spiegel schauen, wenn ich mein Lebensziel nicht verwirklicht habe?«
»Indem Sie in Ihrem Leben etwas finden, das erfüllender ist«, erwiderte Lynd. »Sie sind noch jung. Sie können die Welt erforschen. Ich weiß, dass Ihre Mutter das für Sie gewünscht hätte.«
Ein Gedanke kam Jasper in den Sinn, der ihm schon seit einiger Zeit im Kopf herumspukte. War es möglich, dass die Ausbildung, die seine Mutter für ihn gesichert hatte, gar nicht dazu gedacht gewesen war, seinen Vater zu beeindrucken? Hatte sie dabei womöglich nur das Ziel vor Augen gehabt, ihrem Sohn eine gute Zukunft zu ermöglichen?
Doch welche Wünsche seine Mutter auch immer gehabt haben mochte, sie waren für sein Leben nicht ausschlaggebend. Er traf seine Entscheidungen instinktiv, was ihm schon oft das Leben gerettet hatte.
»Ich kann Eliza nicht aufgeben«, sagte er, von tiefer Überzeugung erfüllt. Bei ihr hatte er keine schmutzige Vergangenheit. Es gab nur die Zukunft, eine Zukunft, auf die er sich freute … und die er brauchte. »Wenn Sie die Sache mit Montague in die Hand nehmen, werde ich Ihnen mein Leben lang dankbar sein. Aber auf mich wartet heute eine Hochzeit.«
»Nun denn«, erwiderte Lynd zufrieden. »Während ich mich umziehe, können Sie schon einmal die nötigen Informationen beschaffen.«
»Danke«, sagte Jasper und drückte Lynds Schulter.
Lynd errötete. »Betrachten Sie es als Hochzeitsgeschenk. Und jetzt ab mit Ihnen. Es ist noch einiges zu tun, bevor die Trauung beginnt.«
Um Punkt drei Uhr traf Jasper im Melville-Haus ein. Eliza beschloss, ihr Hochzeitskleid später anzuziehen, und eilte nach unten, um Jasper zu begrüßen. Als sie seiner ansichtig wurde, blieb sie gebannt auf dem letzten Treppenabsatz stehen. Er trug dieselbe Kleidung wie bei ihrer ersten Begegnung, und diese sentimentale Geste berührte sie so tief, dass es ihr einen Stich im Herzen versetzte. Sein dunkles Haar war ein wenig windzerzaust, und seine Wangenknochen waren von der Kälte gerötet. Er war betörend schön. Ohne jeden Makel.
Hingerissen seufzte sie, worauf Jasper nach oben blickte und sie entdeckte. Er strahlte über das ganze Gesicht.
»Eliza.«
Sie fühlte seine Stimme eher, als dass sie sie hörte. Eilends stieg sie die restlichen Stufen hinunter und blieb ein Stück von Jasper entfernt stehen. »Wie geht es dir?«
»Besser, weil ich nun bei dir bin.«
Eliza deutete zum Salon und ging voraus. Wie immer wusste sie, dass er ihr folgte, obwohl er sich so lautlos bewegte. Sie setzte sich auf einen Sessel, und er nahm ihr gegenüber auf dem Sofa Platz.
In einer Stunde
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