Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
hätten wir das auch getan. Aber, meine liebe Lydia, es will mir gar nicht gefallen, daß du so weit von mir fortziehen willst. Muß das denn unbedingt sein?«
»Mein Gott, ja — das ist doch nicht so tragisch. Ich freue mich schon darauf. Du und Vater und die Schwestern, ihr müßt alle einmal kommen und mich besuchen. Wir werden den Winter über in Newcastle bleiben, da soll es immer viel Geselligkeit geben. Ich werde schon dafür sorgen, daß genug nette Männer zum Tanzen da sind.«
»Ach, wie gern würde ich das tun!« sagte ihre Mutter.
»Und wenn du dann wieder nach Hause fährst, kannst du eine oder zwei von den Schwestern bei mir lassen; ich bin überzeugt, daß ich jede von ihnen, bevor der Winter vorbei ist, unter die Haube gebracht habe.«
»Ich verzichte dankend auf meinen Anteil an dem Vergnügen«, meinte Elisabeth, »mir will deine Art, unter die Haube zu kommen, nicht recht gefallen.«
Die Neuvermählten konnten nicht länger als zehn Tage bleiben. Wickham hatte sein Offizierspatent schon in London erhalten und mußte sich innerhalb von vierzehn Tagen bei seinem neuen Regiment melden.
Außer Mrs. Bennet tat es niemandem leid, daß der Besuch so kurz sein sollte. Sie nutzte die Zeit nach bestem Vermögen aus, machte überall Besuche mit ihrer Tochter und veranstaltete fast jeden Abend eine kleine Tanzerei auf Longbourn. Diese Geselligkeiten waren allen willkommen, und wer sonst die ruhigen Familienabende vorgezogen hatte, freute sich jetzt fast noch mehr über den Trubel als die anderen, die von jeher mehr für Trubel als für Ruhe gewesen waren.
Wickhams Neigung für Lydia war genau so groß, wie Elisabeth es sich gedacht hatte, das heißt, nicht halb so groß wie die Lydias für ihn. Die Beobachtungen, die sie jetzt täglich machen konnte, bestätigten ihr, daß daher auch Lydia weit mehr als er für ihr abenteuerliches Verschwinden aus Brighton verantwortlich zu machen war. Elisabeth hätte sich vielleicht auch darüber wundern können, warum er sich so leicht hatte überreden lassen, wenn sie nicht überzeugt gewesen wäre, daß zwingende Umstände es waren, die ihn zur Flucht veranlaßt hatten. Bei einem Mann wie Wickham war es nur zu begreiflich, daß er dann lieber in Begleitung als allein verschwand.
Lydia war wirklich völlig in ihn vernarrt. Ständig hieß es ›mein lieber Mann‹ hier und ›mein lieber Mann‹ da; niemand konnte einen Vergleich mit ihm aushalten, er tat alles besser als jeder andere Mensch auf der Welt, und sie war fest davon überzeugt, daß er am ersten September, zu Beginn der Hühnerjagd, mehr Vögel zur Strecke bringen werde als irgend jemand sonst im ganzen englischen Königreich.
Eines Morgens, bald nach ihrer Ankunft, als sie bei ihren beiden älteren Schwestern saß, sagte Lydia zu Elisabeth: »Lizzy, dir habe ich noch gar nicht erzählt, wie es bei meiner Hochzeit zugegangen ist. Du warst neulich nicht dabei, als ich Mutter und den anderen davon berichtete. Bist du nicht neugierig, zu wissen, wie alles vor sich ging?«
»Offen gestanden, nein«, erwiderte Elisabeth, »ich finde, du hast gar keinen Anlaß, über dieses Thema allzuviel zu reden.«
»Ach geh, du bist ja dumm! Ich werde es dir aber trotzdem erzählen. Du weißt ja, wir wurden in der St. Clement-Kirche getraut; mein Mann wohnte nämlich in dieser Gemeinde. Um elf Uhr wollten wir alle dort sein. Onkel und Tante und ich sollten zusammen hingehen und die anderen dort treffen. Nun gut, also der Montag kam, und du kannst dir denken, in welcher Aufregung ich war! Ich hatte solche Angst, daß irgend etwas dazwischenkäme und wir die Trauung vielleicht verschieben müßten; ich wäre außer mir gewesen! Und während ich mich anzog, redete Tante Gardiner die ganze Zeit auf mich ein, es klang wie eine Predigt. Gott sei Dank hörte ich kaum jedes zehnte Wort. Ich dachte natürlich die ganze Zeit nur an meinen lieben Mann. Ich mußte immerzu daran denken, ob er sich wohl in seinem blauen Rock trauen lassen würde.
Um zehn Uhr frühstückten wir wie gewöhnlich. Ich meinte schon, wir würden niemals damit fertig werden, denn ich vergaß, dir noch zu sagen, daß Tante und Onkel schrecklich lieblos zu mir waren, während ich bei ihnen wohnte. Du wirst es mir nicht glauben, aber ich bin in den ganzen vierzehn Tagen nicht einen Schritt aus dem Haus gekommen. Keine Gesellschaft, kein Ausflug — nichts, gar nichts! In London war ja allerdings auch nicht viel los, aber das Kleine Theater spielte doch noch.
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