Stoner: Roman (German Edition)
Antworten auf meine Fragen. Mr Walker?«
Verzweifelt begann Walker: »Der mächtige Einfluss Marlowes …«
»Vergessen wir seinen ›mächtigen Einfluss‹«, warf Stoner müde ein. »Was passiert in dem Stück?«
»Nun«, brach es ein wenig überstürzt aus Walker heraus, »Marlowe attackiert das Problem des Antisemitismus, wie es sich im frühen 16. Jahrhundert manifestiert. Die Sympathie, ja ich möchte sagen, die tiefe Sympathie …«
»Genug, Mr Walker. Gehen wir weiter zu …«
»Lassen Sie den Kandidaten Ihre Frage beantworten!«, rief Lomax. »Geben Sie ihm zumindest die dafür nötige Zeit!«
»Nun gut«, erwiderte Stoner geduldig. »Möchten Sie mit der Beantwortung meiner Frage fortfahren, Mr Walker?«
Walker zögerte einen Moment. »Nein, Sir.«
Erbarmungslos setzte Stoner seine Befragung fort. Was mit Verärgerung und einer Empörung begonnen hatte, die Walker wie Lomax galt, wandelte sich zu einer Art Mitleid und elendem Bedauern, das sie ebenso mit einbezog. Nach einer Weile kam es Stoner vor, als befände er sich außerhalb seiner selbst, und er meinte eine Stimme zu hören, die endlos weiter fragte, kalt und unpersönlich.
Schließlich hörte er die Stimme sagen: »Nun gut, Mr Walker. Ihr Spezialgebiet ist das 19. Jahrhundert. Da Sie über die Literatur früherer Jahrhunderte nur wenig zu wissen scheinen, fühlen Sie sich unter den romantischen Dichtern vielleicht ein wenig wohler.«
Er gab sich Mühe, Walker nicht anzusehen, doch konnte er seine Augen nicht daran hindern, dann und wann zu der runden Maske aufzuschauen, die ihn mit kalter, blasser Gehässigkeit anstarrte. Walker nickte knapp.
»Ich nehme an, Sie sind mit Lord Byrons wichtigeren Gedichten vertraut?«
»Natürlich«, erwiderte Walker.
»Würden Sie uns dann ›Englische Barden und schottische Kritiker‹ ein wenig erläutern?«
Einen Moment lang beäugte ihn Walker ein wenig misstrauisch, dann lächelte er triumphierend. »Aha«, sagte er und nickte nachdrücklich. »Ich verstehe. Jetzt verstehe ich.Sie wollen mich hereinlegen. Natürlich. ›Englische Barden und schottische Kritiker‹ ist überhaupt nicht von Byron. Das ist John Keats’ berühmte Antwort auf jene Journalisten, die nach Veröffentlichung des ersten Lyrikbandes seinen Ruf als Dichter in den Schmutz ziehen wollten. Sehr gut, Sir. Wirklich …«
»Na schön, Mr Walker«, sagte Stoner müde. »Ich habe keine weiteren Fragen.«
Schweigen legte sich über die Gruppe. Dann räusperte sich Rutherford, schob seine Papiere auf dem Tisch zusammen und sagte: »Danke, Mr Walker. Gehen Sie nun bitte kurz vor die Tür und warten Sie dort, während sich das Komitee berät. Man wird Sie dann über die Entscheidung informieren.«
In den wenigen Augenblicken, in denen Rutherford sagte, was er zu sagen hatte, gewann Walker seine Fassung zurück. Er erhob sich, stützte sich mit der verkrüppelten Hand auf dem Tisch ab und lächelte die Gruppe beinahe herablassend an. »Vielen Dank, meine Herren«, sagte er. »Was für eine lohnenswerte Erfahrung.« Dann humpelte er aus dem Raum und zog hinter sich die Tür zu.
Rutherford seufzte. »Nun, meine Herren, gibt es etwas zu diskutieren?«
Wieder wurde es still.
Lomax sagte: »Ich fand, in meinem Teil der Prüfung hat er sich ganz ordentlich gehalten. Ebenso in Hollands Teil. Zum Schluss hin hat er mich dann zwar enttäuscht, das muss ich ja zugeben, aber ich könnte mir vorstellen, dass er da auch schon ziemlich erschöpft war. Er ist ein guter Student, auch wenn er unter Druck nicht ganz diesen Eindruck macht.« Er warf Stoner ein leeres, schmerzliches Lächeln zu. »Und Siehaben ihm ja auch mächtig zugesetzt, Bill, das müssen Sie zugeben. Ich stimme für ›bestanden‹.«
Rutherford fragte: »Mr … Holland?«
Holland blickte von Lomax zu Stoner, runzelte verwirrt die Stirn und blinzelte. »Na ja, ich fand seine Leistung recht schwach, auch wenn ich nicht genau weiß, wie ich das zu bewerten habe.« Er schluckte nervös. »Dies hier ist meine erste mündliche Prüfung als Beisitzer, und ich weiß nicht, wie die Standards sind, aber … nun, wie gesagt, ich fand ihn ziemlich schwach. Lassen Sie mich einen Augenblick nachdenken.«
Rutherford nickte. »Mr … Stoner?«
»Durchgefallen«, sagte Stoner. »Eindeutig.«
»Ach, komm schon, Bill!«, rief Lomax. »Bist du nicht ein bisschen zu streng mit dem Jungen?«
»Nein«, erwiderte Stoner gleichmütig, den Blick stur vor sich hin gerichtet. »Sie wissen, Holly, dass
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