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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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Kollegen den Ruf erwarb, griesgrämig und unleidlich zu sein. Zu den jüngeren Studenten war er stets sanft und nachsichtig, auch wenn er ihnen mit einem unpersönlichen Nachdruck, den viele nicht verstanden, mehr Arbeit abverlangte, als sie zu leisten bereit waren.
    Unter seinen Kollegen – vor allem den jüngeren – galt es als ausgemacht, dass er ein ›engagierter‹ Dozent war, ein Ausdruck, den sie halb neidisch, halb verächtlich benutzten, da ihn sein Engagement in ihren Augen blind für alles machte, was außerhalb des Seminarraums oder gar außerhalb der Universität ablief. Erste Witze kamen auf. Nach einem Fakultätstreffen, auf dem sich Stoner unverblümt über einige neuere Experimente im Grammatikunterricht geäußert hatte, meinte ein jüngerer Dozent: »Für Stoner sind Konjugation und Kopulation dasselbe«, um sich dann über das Gelächter und die bedeutungsvollen Blicke zu wundern, die einige der älteren Männer untereinander austauschten. Jemand anderes sagte: »Der alte Stoner glaubt, die Abkürzung für die Arbeitsbeschaffungsbehörde WPA stehe für Widersprüchlich Partizipiale Adjektive«, und durfte zu seiner Genugtuung feststellen, dass sein Witzchen gern weitererzählt wurde.
    William Stoner kannte die Welt jedoch, wie sie nur wenige seiner jüngeren Kollegen kannten. Tief drinnen, tiefer als sein Gedächtnis reichte, war das Wissen um Hunger und Not, Ausdauer und Schmerz verborgen. Und obwohl er nur selten an seine frühen Jahre auf der Farm in Booneville dachte, war seinem Bewusstsein jenes Wissen doch nie fern, das ihm von Vorfahren vererbt worden war, die ihr unbeachtetes,hartes Leben stoisch ertragen und es sich zur Devise gemacht hatten, einer erdrückenden Welt ein ausdrucksloses, hartes, düsteres Gesicht zu zeigen.
    Auch wenn er die Zeiten, in denen er lebte, mit scheinbarem Gleichmut ertrug, war er sich ihrer doch sehr bewusst. Im Laufe jenes Jahrzehnts, in denen die Gesichter vieler Menschen endgültig so kalt und hart wurden, als schauten sie in einen Abgrund, sah William Stoner, für den dieser Blick vertraut war wie die eigene Atemluft, Anzeichen jener allgemeinen Verzweiflung, die er seit seiner Knabenzeit kannte. Er sah gute Menschen langsam der Hoffnungslosigkeit anheimfallen, innerlich so zerbrochen wie ihre Vorstellungen von einem anständigen Leben; er sah sie ziellos durch die Straßen irren, die Augen blank wie Glassplitter; er sah sie mit dem bitteren Stolz von Menschen, die zu ihrer Hinrichtung gehen, an Hintertüren klopfen und um Brot betteln, das es ihnen erlaubte, am nächsten Tag erneut zu betteln; und er sah, wie ihn Menschen mit ehemals aufrechtem und selbstbewusstem Schritt voller Neid und Hass ansahen, weil er die erbärmliche Sicherheit des Festangestellten einer Institution genoss, die irgendwie nicht scheitern konnte. Er redete kaum über das, was er sah, doch das Wissen um die allgemeine Misere rührte ihn und veränderte ihn auf eine Weise, die den Blicken anderer Menschen verborgen blieb; ein stiller Kummer um die allgemeine Notlage verließ ihn in keinem Moment seines Daseins.
    Wie um einen fernen Albtraum wusste er auch um die Veränderungen in Europa, und als sich Franco im Juli 1936 gegen die spanische Regierung erhob und Hitler diese Revolte zu einem richtigen Krieg anfachte, wurde es Stoner wie so vielen anderen übel bei dem Gedanken an diesen Alb, deraus dem Traum in die Welt einfiel. In jenem Jahr redeten die jüngeren Dozenten zu Beginn des Herbstsemesters von kaum etwas anderem, und mehrere erklärten ihre Absicht, sich einer Einheit von Freiwilligen anzuschließen, um für die Loyalisten zu kämpfen oder einen Sanitätswagen zu fahren. Gegen Ende des ersten Semesters jenes Studienjahres hatten einige den Schritt gemacht und übereilt ihre Kündigung eingereicht. Stoner dachte an Dave Masters und bekam den alten Verlust mit erneuter Intensität zu spüren. Er musste aber auch an Archer Sloane denken und erinnerte sich, wie vor nunmehr gut zwanzig Jahren die Sorge langsam alle Ironie aus seinem Gesicht verdrängt und die Verzweiflung das harte Selbstbild allmählich zersetzt hatte – in geringerem Maße glaubte er neuerdings ein wenig von jener Vergeudung zu sehen, die Sloane vorhergeahnt hatte. Bei dem Gedanken an die Jahre aber, die sich vor ihm erstreckten, wusste er, dass das Schlimmste noch bevorstand.
    Wie Archer Sloane begriff er, welch eine Vergeudung und Sinnlosigkeit es bedeutete, sich ganz jenen irrationalen und dunklen

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