Stop Me - Blutige Botschaft (German Edition)
verpassen. Um die Nachbarn musste er sich keine Sorgen machen. Aus dem Betonbunker, den er gebaut hatte, würde kein Laut nach außen dringen. Das war das Schöne daran. Er konnte hier unten alles machen.
“Ich war zwölf Jahre alt, als meine Schwester verschwand. Ein bärtiger Fremder stand vor der Tür und fragte nach meinem Vater.”
Gruber lächelte. Er trug keinen Bart mehr. Seine Schwester, die ständig auf seinen Schwächen herumritt, fand zwar, er habe ein fliehendes Kinn. Sie war der Meinung, er brauche einen Bart, um diesen Makel zu überdecken. Aber Gruber wusste, wie wichtig es war, sein Äußeres regelmäßig zu verändern. Jasmine war vielleicht klug, aber er war klüger. Eitelkeit war längst nicht so wichtig wie Überleben.
“Als er weg war, stellte ich fest, dass meine Schwester ebenfalls verschwunden war”, sagte sie gerade.
Er erinnerte sich an den Tag als sei es gestern gewesen. Peccavi hatte ihn nach Cleveland geschickt, um ein anderes Kind zu holen, das Jack in der Woche zuvor ausgespäht hatte. In der Schlange in einem Fast-Food-Restaurant war er Peter Stratford in die Arme gelaufen. Sie hatten sich unterhalten, und Peter hatte ihm einen Aushilfsjob angeboten.
Gruber war sich immer noch nicht sicher, warum er überhaupt zu der Adresse gefahren war, die Peter ihm gegeben hatte. Außer, dass er sich gelangweilt und nach etwas Ausschau gehalten hatte, das ihn interessieren könnte. Und dann … war sie da gewesen. Es war so einfach! Ein Geschenk. Er hatte ihr ein Eis versprochen, weil sie so ein schönes Rad für ihn geschlagen hatte, und ihr gesagt, dass sie eines für ihre Schwester mitbringen würden. Ohne zu zögern war sie zu ihm in den Truck geklettert.
Das Telefon klingelte. Fluchend drückte er auf die Stopptaste und kehrte zum Anfang der Aufzeichnung zurück, damit er alles noch einmal von vorn sehen konnte, sobald das Telefonat beendet war. Er genoss es, Jasmine zu beobachten, genoss es, sich auszumalen, wie es sein würde, wenn er sie endlich treffen würde. Wenn er ihr in die Augen blicken und ihr sagen könnte, dass er derjenige war, den sie seit sechzehn Jahren suchte.
“Hallo?”
Es war Roger, oder besser: jemand, den er Roger nannte. Gruber hatte keine Ahnung, wie sein richtiger Name lautete. Er wusste nur, dass er nicht so ein guter Scout war, wie Jack einer gewesen war.
“Was ist?”
“Ich habe eins für dich.”
“Wo?”
“Hier in der Stadt.”
“Bist du verrückt? Das ist viel zu nah!”
“Es ist ein Vertragsbaby.”
Was bedeutete, dass Roger eine Prostituierte oder eine andere Frau gefunden hatte, die verzweifelt genug war, ihr Baby für Geld oder Drogen herzugeben. Ihre kleine Firma beschaffte sich die Kinder auf unterschiedlichsten Wegen. Sie von Crack-Abhängigen oder Prostituierten zu kaufen war der ungefährlichste davon – zumindest für ihn als denjenigen, der sie einsammelte. Schließlich bezahlten sie dafür.
“Das ist egal”, beharrte Gruber. Wegen einer ziemlich knappen Geschichte vor ein paar Jahren und weil das Unternehmen außerhalb von New Orleans angesiedelt war, nahmen sie normalerweise keine Kinder aus ihrer Heimatstadt. Peccavi betonte immer wieder, wie wichtig es sei, ihre illegalen Aktivitäten so weit weg vom Übergangsheim zu halten wie möglich.
“Peccavi hat eine Ausnahme gemacht”, sagte Roger. “Er ist gar nicht glücklich über unsere momentanen Einkünfte.”
Und weil Babys schwer zu bekommen waren und sich zu Höchstpreisen verkaufen ließen, brach Peccavi gelegentlich seine eigenen Regeln. “Warum kannst du es nicht einsammeln?”
“Ich bin in Detroit, auf der Suche nach etwas ganz bestimmtem.”
Gruber runzelte die Stirn und kratzte sich am bartlosen Kinn, während er das eingefrorene Bild des Moderators auf dem Bildschirm anstarrte. “Sie will es zu Weihnachten abgeben?”, fragte er. Offensichtlich war sie noch hartherziger als die Schlampe, die ihn zur Welt gebracht hatte.
“Sie möchte sich ein paar Sachen kaufen. Macht es dir etwas aus?”
“Manche Kinder haben keine Chance”, knurrte er.
“Das ist schließlich unser Job, oder nicht? Ihnen eine Chance zu geben.”
Gruber musste lachen. Rogers Selbsttäuschung erstaunte ihn immer wieder. “Du glaubst doch wohl nicht wirklich an diesen Scheiß, dass wir verkappte Engel sind?”
Rogers Antwort klang wie eine Verteidigung. Offensichtlich wollte er der Realität im Moment nicht ins Auge blicken. “Peccavi hat im Moment alle Hände voll zu tun. Er
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