Straight White Male: Roman (German Edition)
regelmäßig mit aufgeweckten sechsundzwanzigjährigen Schauspielern zusammenzusitzen. Das ist exakt die Spezies, die ich immer schon im Visier hatte. Aufgeweckt sollte sie sein, nicht weniger. Aufgeweckte Sechsundzwanzigjährige habe ich schon gehasst, bevor ich laufen konnte.«
Als Kennedy Marr sechsundzwanzig gewesen war, vor fast zwanzig Jahren, als in Großbritannien noch John Major regiert und Tony Blairs Aufstieg gerade erst begonnen hatte, da hatte er in Maida Vale an einer Geschichte gearbeitet, aus der letztendlich sein Romandebüt Undenkbar werden sollte, während Millie schwanger und glücklich durch ihre winzige Mansardenwohnung huschte. Sie arbeitete noch. Und finanzierte sie beide.
»Hör zu«, sagte Braden, »versau das nicht, verstanden? Sei einfach der nette Kerl, den ich auch kenne. Umgarne ihn mit deinen Anekdoten und deinem irischen Charme.«
»So. Hab. Ich. Mir. Dieses. Beschissene. Leben. Nicht. Vorgestellt«, sagte Kennedy erneut und betonte jedes einzelne Wort, indem er mit der Messerklinge auf den Tisch einstach. Doch angesichts des sich nähernden Kellnerheers hellte sich seine Miene schon wieder auf. Die Worte »Ihre Muscheln, Sir«, die Flasche Chablis, die, gerade als er seinen letzten Martini leerte, aus dem Weinkühler gehoben und ihm zur Ansicht gereicht wurde, die Kondensperlen auf dem smaragdgrünen Glas, das vom Eiswasser gelöste Etikett und der Anblick der geradezu obszön gut aussehenden Kellnerin, die ihm die Flasche entgegenhielt, taten ihr Übriges. »Der Service hier ist wirklich spitze«, raunte Kennedy Braden ins Ohr, während er sich mit wölfischem Grinsen die Serviette in den Kragen stopfte. »Verdammt, ist der Service hier gut.« Wieder vibrierte das Handy in seiner Tasche. Er ignorierte es und fuhr mit der Gabel in das perlweiße Innere der ersten langen, dünnen Schwertmuschel. Wie stellte man diesen dämlichen Vibrationsalarm ab? Er hatte den Verdacht, wenn er das tun würde, könnte er das blöde Ding auch gleich ganz abschalten. Aber dann würde er ja Gefahr laufen, einen wirklich interessanten Anruf zu verpassen. Vielleicht von Monica aus Venice Beach. Oder Katrina drüben im Valley. Oder Pam oben in Coldwater Canyon.
Kennedys verächtlicher Scherz über die oberflächliche Plakativität des Teal-Deal-Reims kam von Herzen. Früher hatte er mal Gedichte verfasst. Die verführerische Kraft eines nächtlichen Couplets – vor einem zugigen Fenster mit Blick auf nasse Straßen, aus Whisky geboren – war ihm alles andere als unbekannt. Er hatte es erfahren, nicht oft, aber dafür umso ausgeprägter: das Vergnügen einer wohlgeformten Strophe, eines in wenigen Zeilen verborgenen Universums, dessen kodierte DNS-Schleifen nur darauf warteten, aufgedröselt zu werden, damit sich ihre Bedeutung bis zur Unendlichkeit vervielfachte. Dann und wann stümperte er immer noch herum, aber ihm fehlte einfach der Mumm dazu. Er war nicht hart genug. Um heutzutage Poesie zu schreiben, im Zeitalter des Internets, von Pay-per-View, Landebahnverlängerungen, Realityshows und ungeknackten Lotto-Jackpots. Um von derartigen Profanitäten umgeben allen Ernstes Poesie zu schreiben. Dafür musste man schon knochenhart sein. Kennedy war nicht einmal hart genug, mit dem Roman anzufangen, was eine ganz andere Art von Härte erforderte. Dafür musste man ein Punchingball sein: hart genug, um sämtliche Schläge wegzustecken, die dieser Bastard einem über Monate und Jahre hinweg verpasste. Das erforderte Durchhaltevermögen. Es galt, in den Ring zu steigen und nach der letzten Runde immer noch zu stehen. Gegen einen Roman konnte man keinen K.-o.-Sieg erringen. Man siegte nach Punkten, wenn man Glück hatte. Das war es, was für Kennedys aktuellen Zustand verantwortlich war: Die Arterien seines Talents waren verkalkt und verhärtet von über einer Dekade Chateaubriand und Pinot, von Talkshows (»Richtig, Jane/Mike, es ist völlig anders als das letzte Buch«), von siebenstelligen Vorschüssen und Lesereisen (»Ganz genau, Typ aus Kiel/Turin/Idaho, es ist anders als das letzte Buch«), von den Tausenden von Stunden in Konferenzräumen, Restaurants, Büros, in denen er sich unglaublichen Mist anhören musste. Mist wie: »Ich denke, das Buch muss zugänglicher werden.«
Mist wie: »Wir brauchen hier einen dynamischeren Handlungsbogen.«
Wie: »Wo ist der Konflikt?«
Wie: »Steven scheint als Regisseur verfügbar zu sein.«
So etwas wie Hollywood existierte nirgendwo sonst auf der Welt. Wollte
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