Straße in die Hölle
Straße, über die einmal der neue Reichtum Brasiliens rollen sollte. Das größte Projekt des Jahrhunderts, ein neues Weltwunder … ein Weltwunder, von dem niemand sprach.
Später würde hier eine Brücke stehen, aus Fertigteilen, gespannter Beton, nur auf einem Pfeiler ruhend, und Krokodile und Piranhas und alles Raubzeug würde man mit Sprengladungen vernichtet und verjagt haben … aber heute gab es nur die flachen Boote aus Holz mit blechbeschlagenem Kiel, wackelige Dinger, in denen man ruhig sitzen mußte, sonst schlugen sie um. Billig, billig alles … die Straße kostet Milliarden Cruzeiros, da durften die Vorarbeiten nicht zu teuer werden. Und außerdem war da ein Senhor Bolo, der verdienen wollte.
Vom Materiallager wurden die Boote herangerollt. Gebbhardt und Bandeira standen am Ufer des Flusses und beobachteten die Krokodile, die träge durch die grüne Brühe schwammen.
»Schießen Sie bloß nicht!« sagte Gebbhardt zu dem Polizisten. »Ich weiß, es reizt jeden, diesen Bestien eins draufzubrennen, aber dann ist der Teufel los im Fluß.«
»Ich bin Brasilianer«, sagte Bandeira lächelnd. »Erzählen Sie mir nichts über Blutgeruch.«
Die ersten Boote kamen nach vorn, holperten auf den Kahlschlag und wurden über die noch im Weg liegenden Riesenstämme gehoben. Die Vorarbeiter kommandierten, Flüche schwirrten durch die heiße, stickige Luft, schweißnasse, fast nackte Körper stemmten sich unter die Boote und trugen sie zum Wasser.
Auf einem Räumer, der das abgeschlagene Laub niederwalzte und zur Seite drückte, ratterte Paulo Alegre an Gebbhardt vorbei. Er winkte, zeigte nach hinten und beugte sich aus dem kleinen Fahrerhaus.
»Wir bekommen Besuch!« brüllte er, um gegen den Lärm anzukommen. »Schon nach dem ersten Blick fallen den Jungs die Augen aus dem Kopf, Senhor Carlos.«
Er lachte und donnerte mit seiner schweren Maschine weiter.
»Das müssen wir uns ansehen«, sagte Bandeira. »Besuch hier vorn? Es kann sich nur um einen Verrückten handeln.«
Sie sprangen in den Landrover, wendeten und fuhren durch die Schneise zurück. Es war eine holprige Fahrt, die sie völlig durchschüttelte.
Schon von weitem sahen sie, wie ein Haufen Männer etwas umringten. Wie ein Knäuel dicker Schmeißfliegen schienen sie daran zu kleben. Neben dieser Ansammlung standen vier Wagen, weiß lackiert und mit roten Kreuzen bemalt. Bandeira legte Gebbhardt die Hand auf den Arm.
»Das Hospital«, sagte er. »Hier vorn? Man soll es nicht für möglich halten. Der Chefarzt muß ein Rindvieh sein.«
Sie legten das letzte freie Stück Rodung in schnellem Tempo zurück und bremsten, als die Männer der Räumkommandos von allen Seiten gelaufen kamen, vor den Wagen sprangen und sich wie Wahnsinnige aufführten.
Gebbhardt drängte sich durch die Reihen, boxte sich einen Weg frei und erreichte schließlich den Gegenstand der allgemeinen Bewunderung.
Neben einem bulligen Kerl, der mit herumfuchtelnden Armen die auf ihn niederprasselnden Fragen abzuwehren versuchte, saß im offenen Jeep ein junges Mädchen mit langen, offenen schwarzen Haaren. Ihre leicht mandelförmigen Augen musterten die wilden Kerle. Sie hörte Ausdrücke und Bemerkungen, die so ziemlich das Ordinärste waren, was ein Mann sagen konnte, und sie lächelte sogar, als ein riesiger, muskelbepackter Neger sie anschrie: »Ich komme zuerst dran, Puppe! Ich bin berühmt für meine Warze am Stiel.«
Jetzt sah sie Gebbhardt. Er hatte sich durch den Kreis der Männer gedrängt und stand plötzlich vor ihr. Ihr herrlicher Kopf hob sich etwas, es war, als erstarrte sie. Schweigend blickten sie sich an, und wenn zwei Blitze aufeinandergeprallt wären, hätte es keine stärkere Wirkung geben können.
Das ist sie, durchfuhr es ihn. Norina Samasina. Ein Engel ist in die Hölle geflogen …
Hinter sich hörte er Hauptmann Bandeira. Er brüllte auf die Arbeiter ein und trieb sie vom Jeep weg. Gebbhardt nahm alles wie durch einen Schleier hindurch wahr. Alle Töne waren in Watte gepackt. Er trat an den Jeep heran, wischte sich mit dem linken Unterarm den Schweiß vom Gesicht und schämte sich seit zwei Jahren zum erstenmal, daß er schmutzig und verwahrlost aussah.
»Ich glaube, Sie sind zu weit gefahren, Senhora«, sagte er und fluchte innerlich, weil seine Stimme so klanglos war. »Ich bin Karl Gebbhardt.«
»Sie sind das?« Norina Samasina stieg aus dem Jeep. Die Hand, die Gebbhardt ihr entgegenhielt, um ihr zu helfen, übersah sie. Sie sprang auf den
Weitere Kostenlose Bücher