Straße in die Hölle
Polizeiknuten!« schrie jemand aus der Menge. »Fahr zurück nach Ceres!«
»Morgen, Leute. Oder übermorgen. Ihr sollt mir alles erzählen, was ihr an Beschwerden vorzubringen habt.«
»Dann mußt du ein Jahr bleiben, capitão .« Alegre baute sich vor Bandeira auf. »Hier stinkt's aus allen Poren!«
»Genau das will ich riechen.« Bandeira stieß sich von seinem Jeep ab. »Bei wem kann ich wohnen? Wer hat Platz in seinem Zelt?«
»Komm zu mir, capitão .« Alegre grinste breit. »Bei mir bist du in den besten Händen. Ich habe schon mal einem Mann die Kehle durchgeschnitten …«
In dieser Nacht stellte Gebbhardt eine Liste der Personen zusammen, die nach seiner Meinung Schuld daran trugen, daß hier draußen die Menschen wie die Tiere lebten. Er schrieb diese Namen in der Hoffnung nieder, Gerechtigkeit zu erkämpfen. Er wollte nicht anklagen oder anzeigen, er wollte nur aufzeichnen.
Es hat doch keinen Sinn, dachte er, als die Liste fertig war. Es ist nur Papier, das genauso verschwinden wird wie alle meine anderen Beschwerden.
Lange nach Mitternacht kam Bandeira noch einmal in den Bauwagen. Bis dahin hatte er mit den Arbeitern gesprochen, mit ihnen getrunken, geraucht und kalten Braten gegessen.
»Stimmt es, daß man vor zwei Monaten ein Indiodorf ausgerottet hat?« fragte er.
»Ja.« Gebbhardt holte aus seiner Tropenkiste zwei in Blechhülsen verpackte Filmrollen. »Ich habe es fotografiert, Hauptmann. Es war grauenhaft. Die Indios wollten nicht, daß die Gesellschaft die Straßentrasse durch ihr Gebiet legte, und sie verweigerten die Umsiedlung. Ich habe sofort die Kolonnen angehalten. Aber dann erschienen einige Tage später ein paar Lastwagen im Camp, sechzig Männer in grünen Uniformen sprangen heraus und schossen die Indios zusammen. Männer, Frauen und Kinder.« Gebbhardt wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. »Ich habe in Brasilia angerufen, ich habe einen Bericht geschickt. Die Antwort: Keine Armee-Einheit, keine Polizeitruppe habe einen solchen Auftrag bekommen. Erst hinterher erfuhr ich, daß es eine Art Privatarmee der ›Gesellschaft zur Erschließung Brasiliens‹ gibt, die solche Bereinigungen vornimmt. Niemand kümmert sich darum. Proteste werden überhört, Priester, die gegen diese Greuel von der Kanzel herunter protestieren, werden verwarnt und eingeschüchtert.« Gebbhardt hielt ihm die Filme hin. »Hier sind die Beweise.«
Bandeira winkte ab. »Die brauche ich nicht. Ich weiß Bescheid. Der Kommandeur des Kommandos hieß Felipe Trovejar.«
»Das weiß ich nicht.« Gebbhardt warf die Filme wieder in die Tropenkiste. »Damals habe ich sofort meine Kündigung eingereicht. Aber auch darauf hat bis heute niemand in Brasilia geantwortet.«
»Bleiben Sie, Senhor«, sagte Bandeira ruhig. »Wir brauchen Sie. Auch die Arbeiter. Trotz Ihrer Jugend nennen die Sie schon pai . Es ist eine Ehre, von ihnen Vater genannt zu werden.«
Bandeira grüßte und verließ den Bauwagen.
Ein merkwürdiger Mensch, dachte Gebbhardt. Polizisten sind sonst anders. Was will er wirklich hier vorne, wo ein Menschenleben nicht mal ein paar Cruzeiros wert ist?
Sie standen an einem jener unbekannten Flußläufe, die irgendwoher kamen und irgendwohin flossen, die ihre Namen nur von den Indios bekommen hatten, und die auf keiner Karte stehen, weil man sie vom Flugzeug aus nicht sieht, denn der Wald überwucherte sie und hing über ihnen wie ein riesiges gewölbtes Dach. Das Wasser ist grün und faulig, von der Wasserpest wie mit einer Haut überzogen, bemooste Krokodile schwammen träge durch diese Brühe, und wenn man ein Stück Fleisch hineinwarf, begann der breite grüne Topf zu kochen, und flache, unterarmlange Fische, die nur aus Kopf und Zähnen zu bestehen schienen, schnellten hinaus in das Halbdunkel: Piranhas.
»Die Boote her!« hatte Paulo Alegre kommandiert. Sie kannten solche Hindernisse, sie gehörten zum täglichen Leben der Rode-Kolonne. Man roch das schon von weitem, und doch stand man dann plötzlich am Ufer eines solchen Flusses, auf schwappendem Boden, starrte in die kalten bösen Augen der Krokodile und wußte, daß dieses heimtückische Wasser geballte Vernichtung bedeutete. Aber man mußte weiter, hinüber auf die andere Seite. Der Plan war da – die Straße, diese Scheißstraße, zwanzig Meter breit, damit genug Platz war für das Wegschleifen der Stämme, für das Verbrennen von Laub und Lianen, Farnen und Sträuchern. Die Straße zum Araguaia mußte geschaffen werden, die
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