Straße in die Hölle
es hatte sich kaum etwas geändert. Die rollenden Bordells hatten vier neue Mädchen, dem Kantinenwirt hatte man ein blaues Auge geschlagen, vier Mann saßen im Campgefängnis wegen einer Messerstecherei, und erfahren hatte man, daß die Kaufkraft des Cruzeiro weiter zurückgegangen war und daß in den Monopolläden von Senhor Bolo alle Waren teurer wurden. Aber der Lohn blieb so gering wie bisher.
»Er saugt uns aus wie ein Blutegel«, sagte einer. »Bald kommt die Zeit, wo man uns, statt uns zu bezahlen, in die Fresse spuckt.«
»Was macht Alja?« fragte Paulo Alegre. Der riesige Bursche saß auf seinem Traktorsitz und rauchte eine dicke selbstgedrehte Zigarre.
»Wer ist Alja?« fragte der Angesprochene.
»Das Indiomädchen in der Kantine«, schrie einer von hinten. »Das süße Püppchen mit dem Wackelhintern.« Er lachte schallend.
Alegres Gesicht blieb ausdruckslos, nur seine Augen bewegten sich. Sie wurden unruhig. »Amigo, wenn man der auf die Bluse schaut, muß man die Hose wechseln«, fuhr der Mann fort.
»Ich weiß«, sagte Alegre dumpf. »Was macht sie?«
»Das braune Hürchen?« rief einer neben dem Traktor. Er war noch betrunken und tippte Alegre gegen den Bauch. »Luis Jesus Areras Matratze?«
»Was ist sie?« fragte Alegre tonlos. Sein breites Gesicht war völlig ausdruckslos.
»Mensch, halt die Schnauze!« schrie ein anderer. »Nur Rederei ist es.«
»Er soll nicht die Schnauze halten«, sagte Alegre dunkel. Er packte den Mann vorne am Hemd, hob ihn hoch wie eine Puppe und drückte ihn gegen den großen Traktor. Der Betrunkene zappelte zuerst, dann hing er steif zwischen Alegres Riesenpranken. »Was ist mit Alja?«
»Areras hat gewettet, um tausend Cruzeiros, daß er das braune Püppchen bis zum Monatsende im Bett hat«, sagte der Mann heiser. »Wir kennen doch Areras.«
»Und?«
»Was und? Alle warten im Basislager auf die Einlösung der Wette. Das wird ein Mordsspaß. Areras hat versprochen, Alja hinterher nackt auf seinen Schultern durchs Lager reiten zu lassen. Als Beweis gewissermaßen …«
Alegre ließ den Mann los. Der Arbeiter plumpste auf den Boden, fiel in den Schlamm und kroch schnell vom Traktor weg. Die anderen lachten, rissen noch ein paar Witze über die Ausdauer von Indianerinnen in der Liebe und machten sich dann aus dem Staub.
Paulo Alegre blieb auf seinem Traktor hocken. Er blickte stumpf in die Gegend, in den Wald, auf den doppelt so breit gewordenen Fluß, auf das Zeltlager, das Lazarett und Gebbhardts Bauhütte. Dann nickte er mehrmals, ließ den Motor an und fuhr langsam durch den morastigen Boden zum Fahrzeugpark.
Alja, mein Mädchen, dachte er. Das alles hier tu ich doch nur für dich. Für dich allein. Für unsere Liebe. Ein Stück Land, eine Hütte, ein paar Kinderchen … wäre das eine glückliche Welt! Und da kommt so ein Tier wie Areras und wettet um dich …
Alja, du siehst es nicht, aber ich weine. Ich weine um dich, um uns …
Am nächsten Morgen fehlte im Camp ein Jeep. Und Paulo Alegre fehlte auch.
Man vermißte ihn nicht sofort, sondern erst, als sein schwerer Traktor herrenlos blieb unter dem Schutzdach, einem einfachen Gestell aus Stangen mit breiten Blättern als Dach darüber. Alegre fehlte beim Wegschleppen der schweren, gefällten und entasteten Stämme jenseits des Flusses. Zuerst hatte es der Vorarbeiter bemerkt, einer jener brutalen Antreiber, die von Areras eine Prämie erhielten, wenn sie mehr aus den Leuten herausholten, als in der Norm festgesetzt war – niemand sprach darüber, aber jeder wußte es und meldete es Gebbhardt .
»Hat wohl wieder gesoffen«, sagte der Vorarbeiter am Feldtelefon, das die Kolonnenspitze mit der Bauleitung verband. »Senhor Carlos, wir brauchen jedes Fahrzeug. Es geht hier zügig voran.«
Zügig … das hieß: Die Fällerkolonne schuftete bis zum Umfallen. Sie schlug unter brütender feuchter Hitze, umweht vom fauligen Atem des Dschungels, die Schneise durch den unberührten Wald. Sie legte Bäume um, Jahrhunderte alt, hoch wie Kirchtürme und ebenso schön, so imposant wie diese.
»Ich sehe nach«, erwiderte Gebbhardt. Er hatte eine Ansprache an die Arbeiter vorbereitet. Norina hatte das Konzept durchgesehen und es als ›total deutsch‹ bezeichnet.
»So kann nur ein satter Mensch reden«, hatte sie gesagt. »Die armen Schweine hier werden nicht satt von Phrasen, sie wollen Fleisch in der Suppe sehen. Aber wie du willst … es beruhigt dein Gewissen, und das ist auch was wert.«
Paulo Alegre war
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