Straße in die Hölle
der es urbar macht. Mit jedem Baum, den ihr fällt, macht ihr Bolo reicher. Brasilien bekommt eine schöne breite Straße zum Rio Araguaia, einen Land- und Wasserweg zum Amazonas, quer durch einen Kontinent hindurch. Er ist eine neue Lebensader, auf die Brasilien stolz sein wird. Ein Handelsweg von größter volkswirtschaftlicher Bedeutung, wie die Politiker sagen. Aber was wird über diese Straße rollen? Bolos Lastwagen. Bolos Ausbeuter. Und das gemeine Volk wird so arm bleiben wie vorher.«
»Im Augenblick meldet sich niemand im Zentrallager«, sagte Gebbhardt schroff. »Das ist ein Problem, das am nächsten liegt.« Er versuchte es wieder, ließ durchklingeln, aber bei Areras meldete sich niemand. »Ich fahre hin«, wiederholte er. »Von mir aus halte mich für verrückt. Es fehlt ein Jeep. Und mein bester Mann. Das ist Grund genug.«
Vor dem Lazarett trafen sie auf Dorias Bandeira. Dr. Santaluz hatte seine Reihenuntersuchungen wieder aufgenommen. Die Feierschicht stand in langer Reihe vor dem Ambulanzzelt und wartete auf die Röntgenaufnahmen. Norina verschwand im Arztzelt, zog ihren weißen Kittel an und setzte sich hinter den fahrbaren Röntgenapparat an einen Tisch, an dem bisher ein Pfleger gehockt und die Listen geführt hatte. Santaluz begrüßte sie mit einem Kopfnicken. Er hatte eine Bleischürze umgebunden, trug mit Blei belegte Leinenhandschuhe und holte die Arbeiter aus der Schlange, denen man schon ansehen konnte, daß sie krank waren. Das Röntgenbild bestätigte bei ihnen nur die ärztliche Vermutung.
Mit ruhiger Stimme diktierte er den ersten Befund: Blutdruck, Herzrhythmus, Lungengeräusche, Milzvergrößerungen.
»Er wird Ihre Kolonne entvölkern«, scherzte Bandeira, als Gebbhardt ihn begrüßte. »Und in Ceres und Brasilia wird man Santaluz als den falschen Mann am falschen Platz betrachten. Ich warte schon auf die Nachricht, die ihn nach Rio zurückbeordert.«
»Haben Sie Paulo Alegre gesehen?« fragte Gebbhardt. Er schaute hinüber zu Norina Samasina. Ihr schwarzes Haar glänzte wie Seide. Er konnte nicht begreifen, daß so eine Frau heimlich für eine Revolution arbeitete, daß sie Blut und Tod hinnahm wie etwas Selbstverständliches und es mit dieser zweifelhaften Parole vergoldete: ›Schafft ein neues Brasilien!‹
»Ich habe schon gehört, daß ein Jeep geklaut worden ist«, antwortete Bandeira. »Neu ist mir, daß Ihr Lieblingskind Alegre daran beteiligt ist.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber Sie denken es.« Bandeira deutete hinüber zum Fluß. Der gewaltige Regen war vorbei, aber die Wassermassen gurgelten noch immer grüngelb über die Ufer hinweg, und der Waldboden war wie ein Schwamm, aus dem bei jedem Schritt Wasser quoll. Die Pontonbrücke aber stand, die Lastwagen und Traktoren rasselten darüber hinweg, und am andern Ufer krachten die gefällten Bäume gegen die noch stehenden Stämme. »Unser lieber Piraporte hat keine Ruhe. Er läuft herum, als hätte er Hummeln im Hintern und forscht die Stimmung unter den Arbeitern aus. Wissen Sie übrigens, daß heute nacht wieder ein Mord passiert ist? Ein Mestize stak mit dem Kopf im sumpfigen Boden … ein fürchterlicher Tod. Dr. Santaluz, der die Obduktion vornahm, hat festgestellt, daß man ihn lebend in den Boden gerammt hat. Jetzt rotiert Piraporte. Der Mann war nämlich einer der Zuträger für den Geheimdienst. Er fiel auf, weil er mehr Urlaub bekam als die andern. Ein dämlicher Verein, dieser Geheimdienst!«
»Wieder die Todesschwadron?« fragte Gebbhardt heiser. »Wissen Sie, Bandeira, es ist doch merkwürdig, daß es bis zu Ihrem Eintreffen solche Morde bei uns nicht gegeben hat.«
»Das finden Sie merkwürdig! Ich auch.« Bandeira lachte hart. »Ebenso könnten Sie sagen: Seit Piraporte hier ist.«
»Es sind nur seine Leute, die umkommen.«
»Man hat eben etwas gegen Spitzel. Das einfache Volk hat ein gesundes Gefühl für das, was gut und was schlecht ist.« Bandeira wurde ernst. »Senhor Carlos, kommen wir zur Sache: Wenn Ihr Alegre den Jeep geklaut hat – ganz gleich, warum –, auch wenn ihm die Hose zu eng wurde und er dringend zu seiner Verlobten Alja mußte, dann muß ich ihn bestrafen wie jeden anderen.«
»Natürlich. Ich befürworte das sogar.«
»Danke.« Bandeira klopfte Gebbhardt auf die Schulter. »Ihr Sinn für Gerechtigkeit ist bewundernswert. Bewahren Sie ihn sich.«
Es war eine zweideutige Rede. Gebbhardt verstand sie sehr gut. Irgend etwas bereitete sich im Lager vor, irgendwo
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