Straße in die Hölle
Muskeln spannten.
»Ich konnte nicht schlafen, so weh tut es.«
»Was?«
»Unsere Zukunft.«
»Wir werden heiraten, Norina.«
»Du willst in Brasilien bleiben?«
»Darüber reden wir noch«, erwiderte er ausweichend, doch sie verstand sofort. Ihr glückliches, etwas schmerzliches Lächeln gefror auf den Lippen.
»Leg dich zu mir«, sagte sie. »Komm, leg dich zu mir …«
»Das ist keine Lösung unserer Probleme, Norina.«
»Aber es betäubt. Ich will hier in diesem Bett nichts mehr hören und sehen als nur dich. Der Tag ist so schnell da, und dann ist wieder ein anderer Himmel über uns. Ein feindlicher Himmel. Hier müssen wir gegen alles kämpfen, und es gibt keine Freunde. Nur uns beide. Komm, Carlos.«
Nach ein paar Minuten lag er neben ihr, nackt wie sie. Gemeinsam rauchten sie eine Zigarette – einen Zug sie, einen Zug er. Sonst war noch nichts zwischen ihnen geschehen.
»Glaubst du, daß Dorias Bandeira ein Mörder ist?« fragte Gebbhardt plötzlich. Sie zeigte keine Überraschung, sondern blies ruhig den Rauch aus den schmalen Nasenlöchern.
»Wieso ein Mörder?« fragte sie zurück.
»Diese sagenhafte ›Todesschwadron‹. Ist Bandeira der Kommandant dieser Henkertruppe?«
»Frag ihn doch selbst, Carlos.«
»Wie denkst du darüber, Norina?«
»Ich denke überhaupt nicht. Ich liebe nur mein Vaterland Brasilien.«
»Und diese Liebe rechtfertigt Morde?«
»Man hat schon Menschen wegen hundert Cruzeiros umgebracht.«
»Das ist keine Entschuldigung.«
»Man kann aus Liebe töten. Ich würde jeden umbringen, der dir etwas antut, meu favorito .« Sie sah ihn ernst an. »Du nicht?«
»Ich weiß nicht.« Gebbhardt dachte sich einige Situationen aus: Areras zum Beispiel, wie er Norina vergewaltigte. Oder Piraporte, wie er Norina folterte, um politische Geheimnisse zu erpressen. Oder irgendein Mensch, der Norina quälte. Was würde er tun, um sie zu beschützen, wenn es gar keine andere Möglichkeit gab, als …
»Ich könnte es. Ja«, sagte er entschlossen.
»Für ein Weib! Und was ist Brasilien gegen ein Weib?«
»Politik ist ein dreckiges Geschäft, Norina. Jeder glaubt, da sei alles erlaubt. Und jede Tat ist gleich eine Heldentat, eine vaterländische Tat, ein patriotisches Opfer. Dabei ist doch alles so verlogen. Man kann eine Welt nicht durch Terror bessern.«
»Was machst du mit einem baufälligen Haus?« fragte Norina ruhig.
»Man reißt es ab«, erwiderte Gebbhardt zögernd. Er spürte, daß er in die Enge getrieben wurde.
»Ein eiterndes Geschwür …«
»Man schneidet es auf.«
»Ein brandiges Bein …«
»Man amputiert es. Aber –«
»Warum aber, Carlos. Du entdeckst auf deinen Plänen einen Fehler. Was tust du?«
»Ich radiere ihn aus … Norina, das sind doch keine Vergleiche, die auch noch Entschuldigungen sein könnten. Hier geht es um Menschen!«
»Um die Befreiung geknechteter, rechtloser, ausgenutzter, betrogener Menschen. Sind sie nicht mehr wert als ein Geschwür, ein brandiges Bein, ein Zeichenfehler?«
»Mit solchen Argumenten will man das Chaos rechtfertigen, Norina. Das ist zu einfach gesehen.«
»Das Leben ist einfach.« Sie tastete nach seinen Lenden und streichelte ihn sanft und lockend. Er biß die Zähne aufeinander und lag ganz starr da. Aber die Hitze stieg trotzdem in seinen Kopf, und das Blut klopfte nicht nur in seinen Schläfen. »Red nicht soviel«, sagte sie. Ihre Stimme war dunkler geworden, zärtlicher, wärmer, wie in schweren Samt gebettet. »Denk nicht zuviel nach, Carlos. Wir haben uns, und wir haben ein Bett … das ist im Augenblick genug, um ein Paradies zu schaffen.«
Sie nahm von ihm Besitz, biß ihn mit ihren spitzen Zähnen in die Schulter und seufzte in die Beuge seines Nackens hinein.
Dann versank alles um sie her wie von einer lodernden Flamme verzehrt, die alle Probleme verbrannte – alle Fragen, alle Sorgen, ja die ganze schreckliche Welt.
»So ist es schön«, sagte sie bebend. »O Carlos, so ist es wie ein Wunder …«
Der Morgen war voller Regen. In ungeheuren Wassermassen schien der Urwald zu ertrinken. Es gab keinen Schutz vor den Fluten außerhalb der Zelte, den Hütten, den Bauwagen oder den Führerhäusern der Lastwagen. Die Arbeit ruhte. Es war sinnlos, Bäume zu fällen, denn niemand konnte die riesigen Stämme durch den Morast, in den sich der Urwaldboden verwandelt hatte, ziehen. Der Fluß schwoll an, trat über die flachen Ufer, rauschte durch die Senke. Grünbraun war das Wasser, gurgelnd und mit Strudeln
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