Straße in die Hölle
nicht in seinem Zelt. Man hatte ihn zuletzt in der Nacht gesehen, berichteten einige Arbeiter. Da stand er im Mondschein, glotzte in den Urwald und rauchte eine seiner dicken selbstgewickelten Zigarillos.
Gebbhardt ging hinüber zum Lazarett, aber auch dort war Alegre nicht. Er hatte sich weder krank gemeldet, noch war er verletzt.
Der Leiter des Fuhrparks beschwerte sich bei Gebbhardt, daß jemand einen Jeep geklaut habe. »Die verdammten Weiber im Zentrallager!« schrie er wütend. »Im Puff sind neue angekommen. Da drehen die Jungs hier durch. Ich wette, daß vier Mann unterwegs sind, um sich auszujubeln.«
Gebbhardt wettete nicht. Er ging nachdenklich zu seiner Baubude zurück. Norina hatte das Frühstück zubereitet und den Tisch gedeckt. Die Planrollen lagen in einer Ecke. Sie hatte sogar eine weiße Decke ausgebreitet, um den rohen, häßlichen Tisch zu verschönern. Die weiße Decke war ein Bettlaken.
»Paulo ist weg«, berichtete Gebbhardt. »Mit einem Jeep. Das sieht ihm nicht ähnlich. Auf ihn konnte man sich verlassen. Er war mein bester Mann. Und plötzlich dreht er durch. Norina, ist etwas hinter meinem Rücken im Gange? Weißt du etwas?«
»Es wird viel geredet«, sagte sie und goß ihm Tee ein. »Aber von Alegre habe ich nichts gehört.«
»Ich rufe Areras an.« Gebbhardt griff nach dem Telefon. »Was Alegre auch vorhat, sein Weg muß über das Hauptlager führen. Jeder kennt ihn. Es muß bei Paulo aus irgendeinem noch unbekannten Anlaß einen Kurzschluß gegeben haben. Er ist nicht der Mann, der einfach alles hinwirft und abhaut, und er hat ein Ziel. Er will Alja heiraten, sich ein Stück Land kaufen, seine Vergangenheit vergessen. Das gibt man ohne einen wichtigen Grund nicht auf.«
Er wählte die Nummer der zentralen Bauleitung, aber dort hob man nicht ab. Gebbhardt ließ durchklingeln und sah dabei Norina mit wachsender Unruhe an. Sie saß auf dem Hocker ihm gegenüber, aß eine Scheibe Weißbrot mit Honig und war so schön in ihren Jeans und der engen Bluse, daß Gebbhardt wie schon so oft in den vergangenen Tagen befürchtete, daß dies alles nur ein Märchen war, aus dem er irgendwann ernüchtert und einsam wie immer erwachen würde.
»Es meldet sich niemand.«
»Sie werden draußen sein. Vielleicht ist gerade irgendein Transport angekommen.«
»Das Büro ist immer besetzt. Areras läßt das Telefon nicht unbesetzt. Er ist ein Telefonnarr. Wenn er nicht telefonieren kann, ist er unglücklich.« Gebbhardt trank die Tasse leer und sprang auf. »Ich fahre zur Zentrale.«
»Wegen Alegre? Mach dich nicht lächerlich, Carlos.«
»Ich habe so ein dummes Gefühl. Wenn in der Zentrale niemand ans Telefon geht, muß etwas Außergewöhnliches geschehen sein.«
»Vielleicht weiß Bandeira etwas?«
»Bandeira? Wieso?«
»Er hat einen eigenen Funkkontakt mit seinen Polizisten im Hauptlager.«
»Das ist mir neu.«
»Es ist seit einigen Tagen vieles neu und anders, Liebling«, erwiderte sie sanft. Sie stand auf, umarmte ihn und küßte ihn mit einer Zärtlichkeit, die ihn tief bewegte. Doch schnell verflog der Zauber. Er löste sich aus ihren Armen und schob sie weg.
»Ich liebe dich«, sagte er heiser. »Mein Gott, was könnte ich alles für dich tun! Wie herrlich könnte unser Leben sein, wenn du die Gewalt ebenso hassen würdest wie ich.«
»Wie schön wäre alles«, sagte sie zärtlich, »wenn du ein bißchen brasilianisch und nicht nur deutsch denken könntest. Aber vielleicht lernst du es noch.«
»Bestimmt. Aber ich werde nie lernen, Terror als ein heiliges Mittel zur sozialen Veränderung anzuerkennen.«
»Dann wirst du ewig ein Sklave bleiben.«
»Auch so ein Schlagwort! Ich fühle mich nicht als Sklave, ich bin ein freier Mensch, der für seine Arbeit einen angemessenen Lohn bekommt.«
»Du ja. Aber diese armen Hunde da draußen? Du weißt, wieviel Cruzeiros sie bekommen. Sie werden ausgebeutet wie die Ochsen, die tagein, tagaus ein Wasserrad drehen. Immer im Kreis herum, und noch Schläge dazu.« Norina machte eine weitausholende Armbewegung. »Weißt du, wem das Land gehört, das ihr jetzt rodet? Nicht den Indios, die hier seit Jahrhunderten wohnen und die vor uns immer tiefer in den Urwald flüchten oder einfach niedergeschossen werden, wenn sie sich uns in den Weg stellen. Nein, ihnen nicht, sondern dem großen Senhor Bolo. Er hat einen Vertrag mit der Regierung, und er beteiligt diejenigen daran, die diesen Vertrag unterstützen. Urwald ist Niemandsland. Es gehört dem,
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