Straße in die Hölle
früher.«
Areras überlegte, ob er die Gelegenheit zu einem Hilfeschrei nützen sollte, aber dann unterließ er es. Alegres Finger hätten jeden Aufschrei sofort erstickt.
»Wo ist Senhor Bolo?« fragte Paulo heiser.
»Er ist wieder abgefahren. Vor drei Stunden ungefähr. Er ist mit einem Hubschrauber gekommen, um sich zu informieren. Dann wollte er einen Kognak haben, und ausgerechnet Alja bediente ihn. Paulo, was sollte ich tun? Er ist doch unser Boß. Ohne ihn sind wir Würmer im Sumpf.« Areras begann zu wimmern, als Paulo erneut die Hände um seine Kehle preßte. »Paulo, sei vernünftig. Was hättest denn du getan?«
»Das!« sagte Alegre ruhig.
Es war ein klatschender Schlag, als Areras Kopf gegen die Wand prallte, mehr nicht. Nur ein dumpfes Klatschen … Die Hirnschale platzte auf, das Hirn quoll heraus, Areras Kopf zersprang wie eine Glaskugel, und als Alegre die Finger öffnete und der Körper auf die Dielen fiel, war Areras längst tot – in einer Sekunde gestorben, schmerzlos sogar, denn wen Alegre mit dem Kopf gegen die Wand wirft, der spürt nicht mehr, daß er stirbt.
So ist das also, Alja, dachte Alegre. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. Da spart man tausendundzweihundertneunundvierzig Cruzeiros und muß töten. Da träumt man von einem eigenen Haus und einem Garten, von einem Stück Weide, von saftig im Fleisch stehenden Rindern, von Kindern und einem glücklichen Leben, und dann kommt ein Mann, der so mächtig ist, daß er sich alles nehmen kann, auch die Frau eines armen Teufels – und aus der schönen Welt wird ein Leichenhaus.
Was soll nun aus uns werden? Man wird mich wieder jagen, man wird mich hetzen wie ein Tier, man wird mich diesmal für immer in ein Zuchthaus stecken. Ich werde verschimmeln hinter dicken Mauern, und alle Mitgefangenen werden mich auslachen und sagen: Seht, das ist Paulo Alegre, der dicke Paulo. Zwei Frauen hat er gehabt, zweimal haben andere Männer sie ihm weggenommen, und zweimal hat er die Männer umgebracht. So ein Idiot! Sind Frauen das wert?
Und ich werde allen sagen: Ja! Sie sind es wert. Ihr habt ja Alja nicht gekannt. Alja war ein Engel. Für einen Engel muß man alles tun.
Er tappte durch das dunkle Zimmer, schleifte den toten Areras ins Bett, deckte ihn zu und verließ das Haus.
Niemand sah ihn. Hier im Bereich der Bauleitung schlief alles. In zwei Stunden erst war Wecken, und es konnte Mittag werden, bis man etwas merkte und dann nach Areras suchte. Wenn er gesoffen hatte, schlief er meistens länger. Aber mittags war er auf den Beinen, um das Essen nicht zu versäumen.
Alegre ging hinüber zu den Bordellen. An der offenen Bar hockten vier Männer und erzählten sich schweinische Witze. Sie waren die letzten, die aus den Bussen gekommen waren. Auch Huren müssen mal allein sein im Bett. Der Morgen dämmerte. Über den Riesenbäumen wurde der Himmel fahl. Der Urwald strömte seinen Atem aus. Es war ein süßlicher, fauliger Atem. Hier wuchs üppigstes Leben aus dem Verwesenden.
»Einen Whisky«, sagte Alegre und setzte sich auf einen Hocker. Der Mann hinter der Theke musterte ihn müde.
»Biste Millionär?« fragte er.
»Ja«.
»Weißt du, was ein Whisky heute kostet?«
»Schenk ein, amigo .«
»Für den Preis von zwei Whiskys kannste bei Fralita eine Stunde trommeln.«
»Ich will keine Hure, ich will einen Whisky!« sagte Alegre laut.
»Vorkasse, amigo .«
Alegre bezahlte einen verrückten Preis und bekam seinen Whisky. Die anderen Getränke, vor allem die Schnäpse, waren billiger. Sie wurden in Fabriken gebrannt, die ebenfalls Bolo gehörten.
»Alles Bolo. Überall Bolo. Jetzt auch im Schoß von Alja … Warum, o Herr im Himmel, erschaffst Du einen Bolo? Sagt man nicht, Du seist der Schöpfer aller Dinge? Was hast Du Dir dabei gedacht, als Du Hermano Bolo schufst?«
Noch vor dem allgemeinen Wecken klingelte eine mit einer Uhr gekoppelte große Schelle auf einer langen Stange – dann stieg Alegre wieder in seinen Jeep und fuhr zurück zum Außenlager. Er ließ sich Zeit, er fuhr ganz langsam. Man muß die letzten Stunden auskosten, man muß leben wie ein Fürst, sich die Schönheiten des Lebens anfressen, um später von ihnen Stück für Stück abzubeißen. Habt ihr schon in einer Zelle mit grauen Wänden gelebt, amigos ? Mit Sichtblenden vor den vergitterten Fenstern, die auch das letzte bißchen Sonnenlicht abschirmen? Und das bis zum Lebensende … vielleicht sind es vierzig Jahre? Da wird ein Grashalm zum
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