Straße in die Hölle
noch fünf Stunden.
9
Aus dem Lager wurde eine Festung.
Man hatte es leicht, Barrikaden zu bauen. Die Urwaldriesen, gefällt und zersägt, an der breiten Schneise der verfluchten Straße zu beiden Seiten zum Abtransport gestapelt, lieferten das Material für unüberwindliche Mauern aus uralten Stämmen. Mit Kranwagen und Planierraupen wurden sie aufgetürmt, sogar die schwerfälligen Walzen schoben sie vor sich her. Das Gewirr der abgeschlagenen Äste und Lianen, Dornenranken und Riesenfarne türmte man vor dieser Holzmauer zu dicken Klumpen auf.
Bandeira inspizierte zwei Stunden lang die totale Absperrung und kam zufrieden ins große Arztzelt zurück. Dort war inzwischen die Waffenausgabe beendet. Norina und Gebbhardt saßen auf zwei Klappstühlen und hörten zu, was aus dem Funkbunker an Dr. Santaluz gemeldet wurde.
»Da kommt kein Panzer durch«, sagte Bandeira stolz und zeigte nach draußen. »Jetzt wird der von Gott verdammte Wald unser Freund. Dieses Ast- und Dornengestrüpp ist besser als jeder Stacheldraht, und lebend kommt keiner über die Baummauer. Die hält sogar Granaten größeren Kalibers aus, als die kleinen Schützenpanzer bei sich haben.«
»Sie setzen Fallschirmjäger ein«, sagte Gebbhardt bedrückt. Er hatte zum letztenmal versucht, Norina zu überreden, mit ihm zu kommen. Noch gab es einen Weg. Mit einem weißen Tuch an der Windschutzscheibe konnte man den Regierungstruppen entgegenfahren.
»Gib es auf, Carlos«, hatte Norina geantwortet und sein schweißnasses Gesicht gestreichelt.
Die Luft stand wie bleiern über dem Urwald. Die Sonne glühte und saugte die Feuchtigkeit der letzten Tage aus Erde und Pflanzen. Das Atmen wurde zur Qual. Es war, als inhaliere man einen massiven Brei aus Hitze und Wasser. Der Wald stank nach Moder und Verwesung.
»Überall im Land werden in einer Stunde die Freiheitsgruppen aufstehen«, sagte sie.
Gebbhardt sah sie nachdenklich an. Ihr Glaube an die große Revolution war erschütternd. Er ahnte, daß ihre Enttäuschung und ihr Untergang maßlos sein würden.
»Das glaubst du?« fragte er.
Sie warf die Haare in den Nacken, und ihre schwarzen Augen glühten vor Begeisterung. »Wir haben Funkkontakt mit allen anderen Gruppen. Sie warten auf unser Signal. Überall in Brasilien wird es in einer Stunde heißen: Freiheit! Gerechtigkeit! Menschenwürde!«
»Und das Militär wird auf euch schießen.«
»Fidel Castro brauchte auch kein Militär. Er brauchte nur das Volk. Auch wir haben das Volk hinter uns.«
»Das Volk!« Gebbhardt blickte hinüber zu dem Wall aus Stämmen und diesen Bergen aus Dornengestrüpp. Die schweren Baufahrzeuge waren jetzt zur dritten Sperre aufgefahren, dicht an dicht, eine stählerne Mauer, urzeitlichen Ungeheuern ähnlich, mit hochgereckten Hälsen und aufgerissenen Mäulern. Zwischen dem Stahl, grellrot oder gelb lackiert, hockten die Menschen und starrten die breite, leere Straße hinunter. Ihre Straße! Mit ihrer Kraft, ihrem Schweiß, ihren Flüchen aus diesem riesigen Wald geschlagen. Ihr Schicksal, Meter um Meter. Jetzt wurde sie zu einem Symbol: Die Straße in die Freiheit! Jetzt war man stolz auf sie, die verfluchte, und niemand sah, daß jenseits des Flusses alles wieder im Urwald endete, in Sumpf und Dschungel, und daß diese Straße ein schiefes Symbol war: Sie führte nicht in die Freiheit – sie führte ins Nichts.
»Das Volk!« sagte Gebhardt. Um ihn herum rannten die als Gruppenführer eingeteilten Vorarbeiter. Dr. Santaluz hatte einen Kopfhörer über die Ohren gestülpt und sprach durch ein umgehängtes Mikrofon mit den Außenstellen. Hauptmann Bandeira belud seinen kleinen Jeep mit Handgranaten, zwei Maschinenpistolen und einem Stahlschild. »Ihr verlaßt euch wirklich auf das Volk?«
»Ich weiß, was du denkst.« Norina kniff die Lippen zusammen. Ihr schöner Mund war nur noch ein Strich, eine Narbe in dem herrlichen Gesicht. »Aber unser Volk ist anders als euer Volk. Es kriecht nicht immer nur dem Starken in den Hintern, ist nicht satt und träge – unser Volk hat Hunger! Weißt du, was Hunger ist? Er ist für eine Revolution mehr wert als zehn Atombomben.«
Von der hohen, unüberwindlichen Sperre kamen schrille Sirenensignale. Die Arbeiter rannten nach vorn, kletterten auf die Fahrzeuge und hockten sich in die vierfach gestapelten riesigen Holzstämme.
Bandeira, eine Maschinenpistole vor der Brust, trat zu Gebbhardt. »Sie sollten in die Funkgrube klettern, Carlos«, sagte er. »Da sind Sie halbwegs
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