Straße in die Hölle
sicher. Wenn gleich der Tanz beginnt, kann ich Sie nicht mehr schützen.«
»Ich bin dort, wo Norina ist«, sagte Gebbhardt ruhig. Bandeira tippte sich an die Stirn.
»Sie Spinner! Das ist doch nicht Ihre Revolution. Es ist ein Jammer, daß ich Sie so gut leiden kann. Aber wie Sie wollen.« Er sah zu Norina hinüber. Sie hatte sich ebenfalls bewaffnet, hatte einen Stahlhelm über ihre schwarzen Locken gestülpt und sah fremd, merkwürdig unerreichbar und unweiblich aus. Nur ihre Brüste, die sich durch den Blusenstoff drückten, ließen die Erinnerung an ihre unvergleichliche Schönheit zu. »Was ich jetzt sage, Carlos, ist Blödsinn, trotzdem sag ich es: Passen Sie auf Norina auf. Sie wird mutiger als ein Mann sein. Mit diesen ›Bräuten der Revolution‹ können Sie ganze Landstriche anzünden, so glühen sie. Wenn sie zu mutig wird, geben Sie ihr einen Kinnhaken und tragen sie weg.«
»Wo werden Sie sein, Hauptmann?«
»Ich suche Piraporte. Er ist hier in der Nähe, ich spüre es. Das Kommando übernimmt sowieso Dr. Santaluz. Ich bin hier, um für Ordnung zu sorgen.«
»Mit anderen Worten: Sie liquidieren. Sie betrachten Mord als legales Kampfmittel.«
Bandeira sah Gebbhardt stumm an, dann hob er die Schultern und lächelte schwach. »Es hat keinen Sinn, mit Ihnen zu diskutieren«, sagte er. »Wir leben hier in einer Welt, in der es nur eines gibt: Fressen oder gefressen werden. Ich will bei den Fressern sein, verstehen Sie?«
»Sehr gut.« Gebbhardt erhob sich.
Norina war hinüber zu Dr. Santaluz gegangen. Von der Sperre her klangen laute Rufe. Paulo Alegres gewaltige Stimme, durch ein Megaphon verstärkt, brüllte über die Schneise. »Nicht schießen! Es sind die Kameraden vom Basislager! Helft ihnen, über die Mauern zu klettern. Willkommen, Freunde! Freiheit für Brasilien!«
»Freiheit für Brasilien!« antwortete ein Chor aus vielen Stimmen jenseits der Sperre. Gebbhardt hob eine Maschinenpistole vom Boden. Bandeira grinste schief.
»Es kann Sie den Kopf kosten, Carlos, wenn man uns doch überrollen sollte. Ist die Liebe stärker als der moralische Grundsatz, nie gewalttätig zu sein?«
»Ich nehme an, daß die Fallschirmjäger nicht nach meinem Paß fragen, ehe sie schießen.«
»Da haben Sie recht.« Bandeira ging zu seinem Jeep. »Ich wollte es Ihnen nicht so ins Gesicht sagen. Gut, daß Sie es von selbst erkennen. Wenn Sie sich jetzt ein weißes Tuch um den Bauch wickeln und nach Ceres zurückfahren, nimmt Ihnen das keiner übel.«
»Hauen Sie ab zu Ihrem Piraporte!« sagte Gebbhardt grob. »Ihre Revolution wird am vielen Reden zugrunde gehen.«
Sie kamen mit Autos und auf Rädern, mit Bauwagen und Lastenschleppern. Dreihundert Männer und Frauen – singend, fahnenschwingend, johlend und in einer Stimmung, als wären sie alle betrunken. Sie hatten die Fahrzeuge mit Blumenketten und bunten Bändern geschmückt. Es sah aus, als zögen sie zum Karneval und nicht zum großen Sterben.
Die ganze Kantine rollte an – die Freiluftbar und der Omnibus mit dem Einkaufsbazar. Auf einem offenen Lastwagen kreischten und tanzten die Huren. Die Bordell-Omnibusse hatte man im Hauptlager zurückgelassen, aber die Mädchen waren mitgekommen. Auch bei der Revolution braucht man Dirnen. Die einen verbluten, die anderen zucken zwischen den Weiberschenkeln. Jedem das, was ihm das Schicksal gönnt.
Paulo Alegre, der in der gläsernen Kanzel eines großen Krans stand, sah sie zuerst. Man konnte sie nicht übersehen. Sie hockte auf dem Kühler eines Lastwagens und schwang eine Fahne. Alja! Sie trug zerrissene Männerhosen, eine Jacke aus verblichenem blauem Leinen und hatte zwei Munitionsgurte links und rechts über die Schultern gehängt, die sich zwischen ihren Brüsten kreuzten. Ihr dunkelbraunes Gesicht glänzte, sie sang mit den anderen, und Alegre starrte von seinem ›Kommandostand‹ auf sie hinunter. Er dachte an seine Liebe, an all die Pläne, die sie miteinander gemacht hatten, an die Monate viehischer Arbeit an der Straße, um die Cruzeiros für ein kleines Haus und ein Stückchen Land zu verdienen. Er dachte an den reichen Senhor Bolo, der Alja in sein Bett gezwungen hatte, und an den feisten Luis Jesus Areras, dessen Kopf an der Wand zerplatzt war.
»Alja«, sagte Paulo leise und faltete die riesigen Hände. »Du mußt weiterleben. Wir wollen alles vergessen. Aber erst müssen die Krümel vom Tisch gefegt werden. Noch heute abend sieht unsere Welt anders aus.«
Er kletterte aus dem Kran und
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