Straße in die Hölle
half mit, die Ankömmlinge über die riesige Sperre zu zerren. Nun war die Mauer vierfach, denn vor dem Wall aus Ästen und Dornen standen jetzt die Baufahrzeuge des Basislagers ineinander verkeilt. Unter dem Gejohle der Huren stürzte man den Basaromnibus um. Kisten mit Verpflegung, der gesamte Bestand der Kantine, wurden über die Sperren gehoben.
»Sie können uns nun auch nicht mehr aushungern«, sagte Dr. Santaluz zufrieden zu Gebbhardt. »Und wenn Sie Bomber einsetzen und schwere Artillerie … wir halten uns so lange, bis im ganzen Land das Feuer der Freiheit brennt. Es gibt kein Halten mehr. Brasilien ist erwacht.«
»Komm nach hinten«, sagte Paulo, als er Alja über die Sperren gezogen und mit geschlossenen Augen geküßt hatte. Sein ganzer riesiger Körper zitterte. Auch er hatte diese Lippen geküßt, durchfuhr es ihn heiß. Auch er hat diesen Körper im Arm gehalten, ein Körper, der nur mir gehört … Senhor Bolo, ich werde für diese Nacht mit Alja bei Ihnen kassieren. »Über den Fluß«, sagte er heiser und zog sie mit sich fort. »In den Wald hinein. Warte, bis ich dich abhole.«
»Und wo bist du?« fragte sie.
»Ich bleibe auf den Barrikaden.«
Alja sah ihn groß an, riß dann die Fahne von dem Knüppel, um den sie das Tuch geknotet hatte und wickelte sie um ihren Leib. Alegre verstand sie, aber er schüttelte wild den Kopf.
»Doch!« sagte sie laut. »Wir haben versprochen, alles gemeinsam zu tun.«
Alles, dachte Paulo, wirklich alles? Dann komm mit, Alja, wenn ich Senhor Bolo den Kopf von den Schultern schraube.
Er legte den Arm um sie, küßte ihre Stirn und ging mit ihr zurück zu seinem Befehlsstand, in die Glaskanzel des großen Krans.
Die Soldaten ließen sich Zeit. Beobachter meldeten Dr. Santaluz über Funk, daß die Kolonne mit der Infanterie zehn Kilometer vor dem Basislager auf der neuen Straße angehalten hatte und zunächst Essen empfing. Zweimal kreiste ein Aufklärer hoch über dem Wald und fotografierte die Sperren. Es war sinnlos, sie zu beschießen. Sie flogen zu hoch.
Santaluz beobachtete die graulackierten Maschinen und zog nervös an seiner Zigarette. »Sie untersuchen, ob sie die Fallschirmjäger hier absetzen können«, sagte er zu Gebbhardt. »Sie können es nicht. So gezielt kann keiner springen. Die Mehrzahl wird in den Bäumen hängenbleiben, und die in den Fluß fallen, haben gegen die Piranhas keine Chance. Unsere Festung ist uneinnehmbar. Niemand kommt an uns heran.«
»Aber niemand von Ihnen kommt auch heraus«, sagte Gebbhardt. »Das ist die Kehrseite. Was hören Sie von den anderen Gruppen im Land? Marschiert die Revolution?«
»Sie warten«, erwiderte Santaluz.
»Worauf?«
»Auf unser Signal.«
»Freiheit auf Knopfdruck? So, wie man einen Lichtschalter dreht?«
Gebbhardt starrte Santaluz an. Eine plötzliche Ahnung überfiel ihn und lähmte fast seinen Atem. Mein Gott, dachte er bestürzt, wenn das wahr ist! Der große Idealist, der plötzlich in der Stunde des Triumphes zum einsamsten Menschen dieser Welt wird. »Sagen Sie mir die Wahrheit, Doktor.« Gebbhardts Stimme klang rauh. »Sie stehen allein, nicht wahr? Die anderen Gruppen tauchen unter. Sie rufen bravo, aber sie unternehmen nichts. Der große Volksaufstand findet nicht statt.«
Santaluz senkte den Kopf. In dieser Minute war er ein Mensch, der die Welt nicht mehr verstand. Man hatte ihn allein gelassen. Warum, das begriff er einfach nicht. Wie kann man Feigheit begreifen, wenn man selbst ein Fanatiker ist?
»Was nun?« fragte Gebbhardt leise.
»Es gibt kein Zurück, Carlos.«
»Ergeben Sie sich dem Militär, bevor das Abschlachten begonnen hat. Das ist der einzige Weg.«
»Für Sie, Carlos. Dieses Land, diese Menschen sind anders als Ihre Europäer. Sie brauchen ein Fanal, einen Märtyrer, dann hält sie keiner mehr auf.«
»Und das wollen Sie sein, Doktor? Sind das die Menschen, die Sie jetzt allein lassen, wert?«
»Brasilien ist es wert.« Santaluz warf den Kopf zurück. Die Minute der Schwäche war vorbei. »Carlos, dieses herrliche Land hat eine Zukunft. Es müssen nur die richtigen Männer kommen … und man muß Zeit haben. Viel Zeit!«
Er wandte sich ab und las die neuen Meldungen durch, die von den Funkern auf den Tisch geworfen wurden – schmutzige Zettel mit rasch hingekritzelten Zeilen.
São Paulo meldete sich nicht. Manaus schwieg. Zu den Gruppen II, VI, XI und XXII war keine Verbindung zu bekommen. Dorias Festos in Brasilia verurteilte die gegenwärtige
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