Straße in die Hölle
können mich nicht aus der Reserve locken.« Bandeira grinste. »Piraporte, in einer Stunde flammt an vierunddreißig Stellen zugleich die Revolution auf. Der Tag ist gekommen!«
»Soll ich Ihnen die Namen Ihrer vierunddreißig Stützpunkte nennen?« Piraportes Stimme hatte einen beinahe mitleidigen Klang.
Bandeira sog bestürzt die Luft durch die Zähne. »Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Sie wollten eine Revolution ohne das Militär machen, nur allein mit dem Volk, mit dem armseligen, hungernden, ausgebeuteten, rechtlosen Volk. So ein Irrsinn, Bandeira. Man baut einen Staat nicht mit Hungerbäuchen, sondern mit Bajonetten. Das war Ihr erster grundlegender Fehler.«
»Castro hatte auch nur ein Volk«, erwiderte Bandeira hart.
»Sind Sie ein Fidel Castro? Nie, Dorias. Wollen Sie Santaluz mit Che Guevara vergleichen? Beide waren Ärzte, aber beide trennen Welten voneinander. Guevara war ein akademischer Landsknecht – Santaluz ist ein revolutionärer Schöngeist. Da ist das Scheitern schon vorprogrammiert. Und was fand Castro in Kuba vor? Einen von innen her faulenden Misthaufen. Eine Herrschaft des Unterleibs. Wollen Sie damit unser Brasilien vergleichen?«
»Hier liegen die Probleme anders.« Bandeira krümmte den Finger am Abzug, Millimeter um Millimeter. Rede, du Scheißkerl, dachte er, rede nur zu. Du hast nur einen Schuß in der Hand, ich aber einen ganzen Kugelregen. Ich kann dich nicht verfehlen, Rede nur, rede. »Die soziale Ungerechtigkeit, die viehischen Indianermorde, die Herrschaft der Großgrundbesitzer, die Hände, die sich gegenseitig waschen, die Ausbeutung des Landes durch ein paar Reiche wie Hermano Santos Bolo. Jetzt endlich steht das Volk auf, Abraham.«
»Es scheißt euch was.« Piraporte sagte es nüchtern und grob. »Das Militär ist regierungstreu, das allein zählt. Sie und Santaluz und diese mit Freiheitsideen besoffen gemachten Straßenarbeiter, ihr alle steht allein, Dorias. Alle anderen Gruppen sind bereits verhaftet oder vernichtet. Das Land ist völlig ruhig bis auf diesen Urwaldfleck. Und auf den blickt niemand mehr, keiner auf der Welt, Bandeira. Eine Straße zum Rio Araguaia … Millionen können das noch nicht mal aussprechen. Dort haben Arbeiter gemeutert? Was soll's? Warum steht das überhaupt in der Zeitung? Muß man jeden Furz veröffentlichen? Da ist es schon interessanter, ob Liz Taylor einen neuen Mann heiratet.« Piraporte beugte sich vor. Bandeira spürte wieder diesen eisigen Atem in seinem Nacken. »Darum kommt es auch nicht in die Zeitung, Dorias. Was hier geschehen wird, erfährt keiner. Sie und Ihre Anhänger sterben anonym, das ist das Schrecklichste für einen Patrioten, nicht wahr?«
»Noch schrecklicher ist die Dummheit«, sagte Bandeira dumpf. »Man hat uns verraten!«
»So ist es.«
»Man kann keinen Vulkan mit Blut ersticken.«
»Sie sind kein Vulkan, Bandeira. Sie sind nur ein trauriges Feuerchen, das wir austreten werden. Ein Feuer ohne Rauch.«
»Ein Feuer. Wie recht Sie haben, Abraham.«
Bandeira wirbelte herum. Gleichzeitig schoß er. Die MP tanzte in seinen Händen, er ließ sich auf den Rücken fallen und hielt die Waffe einfach gegen seinen Bauch gepreßt. Er sah, wie Piraporte mit einem geradezu katzengleichen Satz zur Seite sprang, die Pistole hob und abdrückte. Er sah, wie die zweite Garbe aus der Maschinenpistole Piraporte traf und wegschleuderte – ein zuckendes Bündel, wie von ungeheuren Windstößen weggefegt. Gleichzeitig nahm er staunend wahr, wie es in seiner Brust zu brennen begann, wie der Wald um ihn herum rot wurde, als läge er in herrlichem Abendsonnenschein.
Nur Sekunden waren es. Dann fiel die Maschinenpistole aus Bandeiras Händen, und er streckte sich aus, so wohlig fast, als liege er in einem weichen Bett. Zu seinen Füßen hing Piraporte über dem Ersatzreifen des Jeeps und blutete aus dem Mund. Was für ein beglückender Anblick, dachte Bandeira. Es lebe die Revolution! Ewiges Brasilien, werde glücklich. Dann versank die rote Sonne, und Dorias Bandeira starb mit einem unendlichen Glücksgefühl.
10
Nur zehn Minuten kam der Jeep mit den Polizisten, die ihren Chef suchten, zu spät. Dr. Santaluz hatte sie losgejagt. »Sucht ihn«, hatte er gerufen. »Wir haben keine Zeit für private Kriege. Er soll sofort zurückkommen.«
Was Piraporte gesagt hatte, war endlich von einer versteckten Funkstation durchgegeben worden: Die anderen Gruppen im Land existierten nicht mehr. Die Männer an der Straße in die Hölle
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