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Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Straße ins Nichts (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Stelle hangelte, wo es sich verhakt hatte, hatte keinerlei Sicht. Die Sonne stand zwar gleißend weiß am Himmel, aber ihre Strahlen drangen nicht durch die Schlickschwaden, sodass der Taucher blind zwischen den spitzen, im Wasser aufragenden Ästen der Bäume hindurchschwimmen musste, die wie Finger nach ihm fassten. Wenn er Glück hatte, bekam er das Kabel mit einem kräftigen Ruck in die richtige Richtung wieder frei.
    An einem Spätnachmittag im Juli tauchte ich rund viereinhalb Meter tief hinab, bis ich auf den glatten, von Schlamm umgebenen Stamm einer riesigen Zypresse stieß. Ich tastete mich an der Borke entlang zum Fuß des Baumes vor, löste das verschlungene Kabel und zog es über den Strunk einer Pfahlwurzel auf mich zu.
    Eine graue Schlammwolke quoll rund um mich auf, als ob ich eine kalte Luftblase aufgewühlt hätte, die sich in der Höhlung des Wurzelstocks verfangen hatte. Plötzlich stieg mir der Leib einer Frau aus dem Schlick entgegen, ihre Haare strichen über mein Gesicht, ihr Kleid bauschte sich über der Unterwäsche auf, und die Spitzen ihrer mit Ringen geschmückten Finger streiften meinen Mund.
    Niemand im Boot sah sie, und einige Besatzungsmitglieder glaubten die Geschichte nicht, die ich ihnen erzählte. Aber die Frau, die von der Zypresse erfasst und festgehalten worden war, nur losgelassen wurde, um wieder zu verschwinden, lebte viele Jahre lang in meinen Träumen fort. Die Erinnerung an sie war so stark, dass ich beim bloßen Gedanken daran das Gefühl hatte, als werde mir die Luftröhre abgeschnürt.
    In dieser Nacht kehrte sie zurück, wenn auch in anderer Gestalt.
    In dem Traum war es Nacht, die Luft war schwer und stickig, zugleich aber auch süß vom Rauch eines Stoppelfeuers in der Ferne. Ich sah meine Mutter, Mae Robicheaux, auf einer unbefestigten Straße, die an einem im Neonschein leuchtenden Tanzlokal vorbeiführte. Die Straße wurde zu beiden Seiten von üppigen Feldern begrenzt, auf denen das Zuckerrohr in fetten, lila schimmernden Stängeln stand, deren Blätter im Wind raschelten. Sie rannte in der rosa Uniform, die sie bei der Arbeit im Biergarten trug, die Straße entlang, hatte die Hände ausgestreckt und den Mund zu einem verzweifelten, flehentlichen Schrei geöffnet. Zwei Polizisten, die mit den Händen ihre Revolver in den Holstern fest hielten, damit sie nicht herausfielen, rannten hinter ihr her.
    Ich konnte mich nicht rühren, musste ohnmächtig zusehen, wie eine Sturzflut aus der Bucht am Ende der Straße aufbrandete und zwischen den Wällen aus Zuckerrohr auf sie zutoste. Sie stolperte und fiel hin, und das Wurzelgeflecht aus den Feldern schlang sich wie weiße Würmer um ihren Leib und hielt sie fest, während das Wasser um ihre Schenkel, die Hüfte, um Brüste und Hals spülte.
    Deutlich konnte ich ihre Augen und den Mund sehen, konnte jetzt sogar meinen Namen von ihren Lippen ablesen, dann spülte die Flut über ihren Kopf hinweg, und ich fuhr im Bett hoch, das Gesicht klatschnass vor Schweiß, und meine Lunge brannte, als hätte jemand Säure hineingegossen.
    Ich setzte mich in die Küche, in die Dunkelheit, und hatte das Gefühl, als ob sich mein Herz zusammenkrampfte. Ich ging ins Schlafzimmer und kehrte mit meinem .45er wieder zurück, der klamm und feucht in meiner Hand lag. Vor meinem inneren Auge sah ich die zwei Polizisten, die meine Mutter die Straße entlang gehetzt hatten, sah ihre blauen Uniformen, die sich vor dem Himmel abzeichneten, das schimmernde Mondlicht auf ihren Dienstmarken, den Revolvergriffen und den gewichsten Waffengurten, sah sie ganz genau, bis auf die Gesichter. Am liebsten hätte ich meine Waffe abgefeuert, bis der Lauf vor Hitze glühte.
    Als Bootsie mir die Hand auf den Rücken legte, zuckte ich zusammen, als hätte mich ein heißes Stück Eisen berührt, legte dann den .45er auf den Tisch und begrub mein Gesicht an ihrem Bauch.

10
    A m Samstag stand ich in aller Frühe auf, noch vor Sonnenaufgang, um Batist, dem alten Schwarzen, der für mich arbeitete, dabei zu helfen, den Köderladen zu öffnen und den Grill anzuschüren, auf dem wir Hühnerteile und Würstchen für unsere Mittagsgäste zubereiteten. Ich hakte Tripod, Alafairs zahmen dreibeinigen Waschbär, von seiner Laufkette los und setzte ihn auf das Dach des Kaninchenstalls, stellte ihm eine Schale Wasser und eine zweite mit Fischabfällen hin. Doch er sprang zu Boden und lief mit wedelndem Schwanz und wackelndem Hinterteil vor mir zwischen den Pekanbäumen und den

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