Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Straße nach überallhin

Straße nach überallhin

Titel: Straße nach überallhin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
Anfälle.“
    „Was heißt das?“
    „Du wirst verstehen, was ich meine, wenn du am Morgen sein Zimmer siehst. Er wird wieder eine große Rechnung haben. Er wird alles auseinandernehmen.“
    „Hat er denn deswegen noch nie einen Arzt aufgesucht?“
    „Nicht daß ich wüßte.“
    „Aber es muß doch ausgezeichnete Ärzte geben, besonders in den hohen Js.“
    „Sicher. Aber er will zu keinem. Er wird morgen früh wieder in Ordnung sein – vielleicht ein wenig müde, und vielleicht erfolgt sogar eine kleine Veränderung seiner Persönlichkeit, aber mehr nicht.“
    „Was für eine Veränderung seiner Persönlichkeit?“
    „Schwer zu sagen. Du wirst es sehen.“
    „Hier ist unser Zimmer. Willst du es wirklich versuchen?“
    „Sag ich dir drinnen.“

 
     
Zwei
     
     
     
    In dem Raum, dessen Wände wie Bücher in kostbares marokkanisches Leder gebunden waren, saßen Chadwick und Donatien Alphonse Francois Marquis de Sade in Sesseln mit hohen Lehnen und spielten Schach an einem Geldwechslertisch aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Stehend war Chadwick fast einen Meter neunzig groß. Stehend oder sitzend wog er etwa fünfundzwanzig Steine. Sein Haar bildete einen Helm heller Locken über niederen Brauen und grauen Augen mit dunklen Rändern darunter und blauen Lidern darüber. Geplatzte Venen überzogen seine breite Nase und seine Wangen mit einem Netzmuster. Sein Nacken war kräftig, seine Schultern waren breit, seine dicken Wurstfinger waren stark und entschlossen, als er den Bauern des anderen vom Spielfeld nahm und seinen Läufer an dessen Stelle setzte.
    Er wandte sich nach rechts, wo eine hellblaue, lässige Susan mit einem kreisförmigen Tablett voller Aperitifs schwebte. Er trank in rascher Folge ein orangenes, ein grünes, ein gelbes und ein rauchig goldenes Getränk. Die Gläser wurden unverzüglich wieder gefüllt, kaum hatte er sie ausgetrunken. Im Hintergrund spielte leise Musik, Streicher und Bläser.
    Er streckte sich und betrachtete sein Gegenüber, der gerade nach seinem eigenen Getränkekarussell griff.
    „Ihr Spiel wird besser“, sagte er. „Oder meines schlechter. Das weiß ich nicht genau.“
    Sein Gast trank einen klaren, einen hellroten, einen bernsteinfarbenen und dann wieder einen klaren Likör.
    „In Anbetracht dessen, was Sie für mich getan haben“, antwortete er, „könnte ich letzteres niemals zugeben.“
    Chadwick lächelte und hielt abwehrend die Hände empor.
    „Ich versuche, überall interessante Leute zu finden, denen ich in meinen Schriftstellerkursen das Schreiben beibringen lassen will“, erklärte er. „Es ist besonders lohnend, wenn jemand sich auch noch als derart interessante Gesellschaft erweist.“
    Der Marquis erwiderte das Lächeln.
    „Verglichen mit den Umständen, unter denen Sie mich letzten Monat fanden, ist dies hier schon ein beachtenswerter Fortschritt. Wie ich gestehen muß, würde ich meine Abwesenheit von meinem eigenen milieu gerne so lange wie möglich hinauszögern – am liebsten ewig.“
    Chadwick nickte.
    „Ich finde Ihren Standpunkt so interessant, daß ich diesem Wunsch kaum nachgeben kann.“
    „… und ich bin sehr fasziniert von der Entwicklung der Literatur seit meiner Zeit. Baudelaire, Rimbaud, Mallarme, Verlaine – und natürlich der begnadete Artaud! Aber selbstverständlich sah ich das alles schon vorher!“
    „Zweifellos.“
    „Besonders Artaud.“
    „Das dachte ich mir.“
    „Sein Ruf nach einem Theater des Scheußlichen – was für ein feines und nobles Anliegen!“
    „Ja. Das war ein großes Verdienst.“
    „Die Schreie, der plötzliche Schrecken! Ich …“
    Der Marquis nahm ein Seidentaschentuch aus seinem Ärmel und betupfte seine Stirn. Er lächelte schwach.
    „Mein plötzlicher Enthusiasmus“, bemerkte er.
    Chadwick kicherte.
    „… wie etwa dieses Spiel, in das Sie verwickelt sind, diese … diese Schwarze Zehn. Dabei muß ich an die wunderbaren Gemälde von Jan Luyken denken, die Sie mir gestern zeigten. Durch Ihre Beschreibungen ist mir fast, als könnte ich selbst daran teilnehmen …“
    „Es ist gerade Zeit für einen Fortschrittsbericht“, sagte Chadwick beiläufig. „Sehen wir nach, wie die Dinge sich entwickeln.“
    Er erhob sich und ging über den teuren Parkettboden bis zu einer Sphinx aus schwarzem Marmor zur Linken des offenen Kamins. Vor ihr blieb er stehen und murmelte einige Worte, worauf sie eine Papierzunge herausstreckte. Er riß sie ab und kehrte mit ihr zu seinem Sessel zurück, wo er

Weitere Kostenlose Bücher