Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
kennen keine Gnade.
    Die Chance, daß ich am Telefon von einem Fremden ein Ferienhaus auf Time-sharing-Basis in Florida kaufen würde, ist so groß wie die, daß ich die Religion wechseln würde, nachdem ein Paar Mormonen auf meiner Türschwelle aufgetaucht sind. Aber offenbar ist diese Haltung nicht allgemein verbreitet. Nach Angaben der New York Times werden beim Teleshopping in den USA nun fünfunddreißig Milliarden Dollar im Jahr umgesetzt. Diese Zahl ist derart umwerfend, daß ich nicht darüber nachdenken kann, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Also lassen Sie uns zur Einzelhandelsentwicklung Nummer zwei übergehen:
    Factory outlets. Das sind Einkaufszentren, in denen Firmen wie Ralph Lauren oder Calvin Klein ihre Klamotten billiger verhökern. Kurz, es sind Ladengruppen, in denen alles ständig im Ausverkauf ist, und sie sind mittlerweile riesengroß.
    Ja, in vielen Fällen sind es gar keine Einkaufszentren, sondern kleine Gemeinden, die von den Fabrikläden übernommen worden sind. Die bei weitem bemerkenswerteste ist Freeport, Maine, die Heimat L. L. Beans, eines beliebten Lieferanten von Outdoor-Kleidung und Sportausrüstung für Yuppies.
    Auf dem Weg durch Maine haben wir letzten Sommer dort haltgemacht, und ich zittere immer noch, wenn ich daran denke. Ein Besuch in Freeport verläuft nach dem stets gleichen Muster. In einer langen Autoschlange kriecht man in die Stadt, sucht vierzig Minuten einen Parkplatz und schließt sich dann einer tausendköpfigen Menge an, die die Main Street an einer Reihe von Läden entlangschlurft, die jede bekannte Marke führen, die es je gab oder geben wird.
    Und im Zentrum des Ganzen ist der L.-L.-Bean-Laden: gigantisch und vierundzwanzig Stunden am Tag dreihundertundfünfundsechzig Tage im Jahr geöffnet. Wenn Sie wollen, können Sie dort um drei Uhr nachts ein Kajak kaufen. Offenbar wollen die Leute das auch. Langsam brummt mir wieder der Schädel.
    Drittens und letztens: Kataloge. Per Post einzukaufen ist ja schon lange üblich, doch nun greift es in einem Maß um sich, das jenseits allen Erstaunens liegt. Beinahe von dem Augenblick an, als wir in den USA ankamen, plumpsten uns die Kataloge unverlangt mit der täglichen Post auf die Matte. Nun bekommen wir vielleicht ein Dutzend die Woche, manchmal auch mehr – Kataloge für Videos, Gartengeräte, Unterwäsche, Bücher, Camping- und Angelausrüstung, für allerlei Schnickschnack, mit dem wir unser Badezimmer eleganter und gastlicher gestalten können; kurzum für alles, was das Herz begehrt.
    Eine ganze Zeitlang habe ich die Kataloge mit dem anderen Werbemüll weggeworfen. Was war ich dumm! Jetzt begreife ich, daß sie einem nicht nur ein stundenlanges Lesevergnügen bereiten, sondern auch eine Welt von Möglichkeiten eröffnen, von deren Existenz man nie etwas geahnt hat.
    Gerade heute erst bekamen wir mit der erwähnten Macarena-Nacktbroschüre einen Katalog mit dem Titel Werkzeuge für ernsthafte Leser . Er war voll der üblichen Auswahl an Kladden und Schreibtischkörben. Besonders ins Auge aber stach mir ein sogenannter Aktentaschendiener – ein ungefähr zehn Zentimeter über dem Boden sitzendes Wägelchen mit Rädern.
    Erhältlich in Kirsche, dunkel oder naturbelassen, zu dem attraktiven Preis von 139 Dollar, soll es einem der hartnäckigsten Büroorganisationsprobleme unseres Zeitalters Abhilfe schaffen. »Die meisten Menschen stehen jedesmal vor demselben drängenden Problem: Was tun mit der Aktentasche, wenn wir sie zu Hause oder im Büro abstellen wollen?« erklärt der Katalogtext. »Darum haben wir unseren Aktentaschendiener gebaut. Er bewahrt Ihre Aktentasche so auf, daß Sie sie nicht auf den Boden stellen müssen, und erleichtert es Ihnen im Laufe eines langen Tages, Dinge hineinzustecken und herauszuholen.«
    Mir gefallen besonders die Worte »im Laufe eines langen Tages«. Ja, wie oft habe ich am Ende eines anstrengenden Arbeitstages gedacht: »Was gäbe ich jetzt für ein kleines Gerät mit Rädern in einer Auswahl von Holztönen, das es mir ersparen würde, die letzten zehn Zentimeter hinunterzulangen.«
    Das Gruselige ist, daß die Texte oft so raffiniert verfaßt sind, daß man dauernd Gefahr läuft, darauf hereinzufallen. In einem anderen Katalog habe ich gerade etwas über ein schickes Küchenutensil aus Italien namens »porto rotolo di carta« gelesen, das mit einem »Spannfederarm« prahlte, »einer rostfreien Edelstahlleitvorrichtung«, »einem handgearbeiteten Kreuzblumen-Abschlußornament aus

Weitere Kostenlose Bücher