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Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Chemikalien, daß für Bakterien überhaupt kein Platz mehr war -, und ich überlegte, ob ich sie nicht als Mahnung an meine Torheit noch eine Weile aufbewahren sollte. Dann entsorgte ich sie doch. Und bekam prompt einen Gieper auf was Herzhaftes und ging zur Speisekammer, um zu sehen, ob ich nicht einfach nur eine schöne Scheibe Knäckebrot und vielleicht eine Stange Sellerie fand.

    Wie vom Erdboden verschluckt

    Vor etwa einem Jahr verließ ein junger Student mitten im Winter eine Party in einem Dorf unweit der kleinen Stadt in New Hampshire, in der wir wohnen, um zum wenige Kilometer entfernten Haus seiner Eltern zu laufen. Dummerweise – denn es war dunkel, und er hatte getrunken – beschloß er, eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen. Er kam nie an.
    Als am nächsten Tag sein Verschwinden bemerkt wurde, machten sich Hunderte Freiwilliger auf, um ihn im Wald zu suchen. Sie suchten tagelang, ohne Erfolg. Erst im Frühjahr stolperte ein Wanderer über seinen Leichnam.
    Vor fünf Wochen ereignete sich etwas mehr oder weniger Ähnliches. Ein Privatflugzeug mit zwei Leuten an Bord mußte bei schlechtem Wetter den Landeanflug auf unseren Flughafen abbrechen. Als der Pilot nach Nordosten umschwenkte, um einen erneuten Versuch zu wagen, teilte er dem Kontrollturm seine Absicht über Funk mit.
    Einen Augenblick später verschwand der kleine grüne Punkt, der sein Flugzeug war, vom Radarschirm des Flughafens. Irgendwo draußen, urplötzlich und aus unbekannten Gründen, stürzte die Maschine in den Wald.
    Wiederum wurde eine großangelegte Suche organisiert, diesmal mit einem Dutzend Flugzeugen und elf Hubschraubern zusätzlich zu den mehr als zweihundert freiwilligen Helfern auf dem Boden. Wieder suchten sie tagelang, und wieder ohne Erfolg. Das vermißte Flugzeug hatte immerhin achtzehn Passagiersitze, muß also mit ziemlicher Wucht aufgeschlagen sein. Aber nirgendwo fand man verstreute Wrackteile oder eine Bruchschneise im Wald. Das Ding war spurlos verschwunden.
    Ich will damit nicht sagen, daß wir am Rande einer Art Bermudadreieck der Wälder wohnen, sondern nur, daß die Waldgebiete von New Hampshire eigentümlich wild und gefährlich sind.
    Zunächst einmal sind sie voller Bäume – und das meine ich nicht als Scherz. Letzten Sommer bin ich ein paar Wochen dort gewandert und kann Ihnen versichern: Das einzige, was Sie in unvorstellbaren Mengen sehen, sind Bäume, Bäume, Bäume. Manchmal ist es sogar beunruhigend, weil es im Grunde nur eine sich endlos wiederholende Szenerie ist. Jede Wegbiegung bietet einem den immer gleichen, unterschiedslosen Anblick, und das ändert sich nie, einerlei, wie lange man geht. Wenn man sich verläuft, stellt man sehr leicht fest, daß man hilflos und bar jeder Orientierung ist. Man kann bis zur Erschöpfung laufen, bevor man merkt, daß man einen großen und leider sinnlosen Kreis beschrieben hat.
    Wenn man das weiß, überrascht es einen längst nicht mehr so, daß die Wälder manchmal ganze Flugzeuge verschlucken oder Menschen nicht mehr freigeben, die das Pech haben, in ihrem Dickicht die Orientierung zu verlieren. New Hampshire ist so groß wie Wales und zu fünfundachtzig Prozent von Wald bedeckt. Wirklich eine Menge Wald zum Verirren. Jedes Jahr werden mindestens ein oder zwei Wanderer vermißt und bisweilen nie mehr gesehen.
    Doch eines ist interessant: Vor einem Jahrhundert und in manchen Gebieten vor nicht einmal so langer Zeit existierten diese Wälder noch gar nicht. Fast das ganze ländliche Neuengland – einschließlich des Gebiets in unserem Teil New Hampshires – war offenes Acker- und Weideland.
    Mit aller Macht deutlich wurde mir das mal wieder, als unser Stadtrat uns als Neujahrspräsent einen Kalender mit alten Fotos aus dem Stadtarchiv zukommen ließ. Eines der Bilder, ein 1874 von dem Gipfel eines Hügels aus aufgenommenes Panorama, zeigte eine Ansicht, die mir, wenn ich auch nicht hätte sagen können, warum, vage vertraut vorkam: eine Ecke des Universitätscampus und eine Schotterstraße, die in entfernte Berge führte, ansonsten ausgedehnte Äcker und Weiden.
    Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich begriff, daß ich die zukünftige Stätte meines Wohnviertels betrachtete. Das war komisch, weil unsere Straße mit ihren Schindeldächern im Schatten großer, schön gewachsener Bäume wie eine traditionelle neuenglische Straße aussieht, in Wirklichkeit aber komplett aus den frühen Zwanzigern stammt, also ein halbes Jahrhundert jünger als das Foto ist.

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