Streiflichter aus Amerika
achtzig von mir entfernt ein Stinktier beobachtete. Das Vieh schnüffelte eine halbe Minute unter dem Tisch herum und tapste dann in aller Seelenruhe den Weg zurück, den es gekommen war. Beim Abgang drehte es sich zu mir um und schaute mich mit einem Blick an, als wolle es sagen: »Ich wußte die ganze Zeit, daß du da warst.« Aber es hat mich nicht besprüht, wofür ich ihm selbst jetzt noch dankbar bin.
Am nächsten Tag befestigte ich den Draht wieder an Ort und Stelle Doch zum Beweis meiner Dankbarkeit legte ich eine Handvoll Katzenfutter auf die Treppe, und gegen Mitternacht kam das Stinktier und fraß es. Danach legte ich zwei Jahre lang regelmäßig ein bißchen Futter dorthin, und das Stinktier holte es sich immer pünktlich ab. Dieses Jahr ist es noch nicht dagewesen. Unter den Kleinsäugetieren hat es eine Tollwutepidemie gegeben; die Stinktier-, Waschbär- und sogar Eichhörnchenpopulationen sind erheblich reduziert worden. Das passiert offenbar etwa alle fünfzehn Jahre als Teil eines natürlichen Zyklus.
Scheint, als hätte ich mein Stinktier verloren. In einem Jahr oder so wird sich der Bestand erholt haben, und ich kann vielleicht ein neues adoptieren. Ich hoffe es doch sehr, denn Stinktier sein bedeutet eines auf alle Fälle: Man hat nicht viele Freunde.
Bis dahin spielen wir – teilweise zum Zeichen unserer Trauer und teilweise, weil Mrs. B. in einem unpassenden Moment einen aufs Auge gekriegt hat – keine Essensspiele mehr, obwohl ich, auch wenn Eigenlob stinkt (!), auf dem besten Wege war, olympisches Gold zu erringen.
Erbarmen mit der nicht erfaßten Person
Neulich habe ich etwas so Unerwartetes, derart Überraschendes erlebt, daß ich mir eine Limo übers Hemd geschüttet habe. (Obwohl ich eigentlich keine Überraschungen brauche, um das zu bewerkstelligen.)
Grund dieser übersprudelnden Aktivität war, daß ich bei einer Behörde angerufen hatte, genauer gesagt, bei der amerikanischen Sozialversicherung – und jemand ging ans Telefon.
Ich war nämlich total darauf gefaßt gewesen, daß mir eine Stimme vom Band sagte: »Alle unsere Mitarbeiter sind beschäftigt. Bitte bleiben Sie dran, während wir Ihnen ein nerviges Gedudel vorspielen, das in Fünfzehnsekundenintervallen von einer Tonbandstimme unterbrochen wird, die Ihnen sagt: ›Alle unsere Mitarbeiter sind beschäftigt. Bitte bleiben Sie dran, während wir Ihnen ein nerviges Gedudel vorspielen.. .«‹ und so weiter bis zur Abendbrotzeit.
Wie perplex ich war, als nach lediglich zweihundertsiebzig-mal Klingeln ein echter Mensch an den Apparat kam, können Sie sich vorstellen. Er fragte nach einigen meiner persönlichen Daten und sagte dann: »Entschuldigen Sie, Bill, ich muß Sie eine Minute lang auf Warteschleife stellen.«
Haben Sie das mitgekriegt? Er nannte mich Bill! Nicht Mr. Bryson. Nicht Sir. Nicht oh, mächtiger Steuerzahler. Sondern Bill. Vor zwei Jahren hätte ich das noch als grobe Unverschämtheit betrachtet, aber mittlerweile mag ich es richtig.
Es gibt Situationen, in denen die Ungezwungenheit und oftmals plumpe Vertraulichkeit im Alltag hier meine Geduld auf eine harte
Probe stellen. Wenn ein Kellner mir erzählt, er heiße Bob und werde mich an dem Abend bedienen, muß ich immer noch an mich halten, um nicht zu sagen: »Ich will nur einen Cheeseburger, Bob, keine Liebesbeziehung.« Meistenfalls genieße ich es doch. Ich glaube, es liegt daran, daß es für etwas Grundsätzlicheres steht.
Hier macht man nämlich nicht ständig Kratzfüße vor anderen sondern die Ansicht, daß kein Mensch besser ist als ein anderer, ist wirklich allgemein verbreitet. Das finde ich klasse. Mein Müllmann nennt mich Bill. Mein Arzt nennt mich Bill. Und der Schuldirektor meiner Kinder nennt mich Bill. Sie buckeln nicht vor mir, ich nicht vor ihnen. So sollte es sein, finde ich.
In England hatte ich mehr als ein Jahrzehnt dieselbe Steuerberaterin, und unser Umgang miteinander war immer höflich, aber geschäftsmäßig. Sie nannte mich nie anders als Mr. Bryson und ich sie nie anders als Mrs. Creswick. Als ich mir hier einen neuen Steuerberater suchte, einen Termin mit ihm ausmachte und in sein Büro kam, waren seine ersten Worte: »Ah, Bill, freut mich, daß Sie es geschafft haben.« Schon waren wir Kumpel. Wenn ich ihn jetzt sehe, frage ich, wie es seinen Kindern geht.
Man merkt es auch in anderen Situationen. Unser Wohnort Hanover ist, wie ja schon häufiger erwähnt, eine Universitätsstadt. Die Alma mater, Dartmouth College,
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