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Streiflichter aus Amerika

Titel: Streiflichter aus Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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sie verwenden kann. Ich hätte das Phänomen auch Versalle-Syndrom nennen können, nach dem Opernsänger Richard Versalle, der 1996 in der Met in New York bei der Premiere der Janacek-Oper Die Sache Makropoulos die verhängnisvollen Worte »Schade, ewig leben kann keiner« sang, prompt von einer fünf Meter hohen Leiter fiel und sich das Genick brach.
    Dann wiederum könnte ich das Syndrom auch zu Ehren des großen Generals der Unionsarmee, John Sedgewick, benennen, dessen letzte Worte in der Schlacht von Fredericksburg im amerikanischen Bürgerkrieg lauteten: »Männer, ich sag euch, nicht mal ein Haus treffen sie auf diese Entfer-«
    All diesen Menschen ist gemeinsam, daß sie nicht den geringsten Bezug zu irgend etwas haben, über das ich je geschrieben habe oder jemals schreiben werde. Und weil ich leider so recht eigentlich nie weiß, worüber ich mich auslassen werde (um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich kann es gar nicht abwarten, wo das hier hinführt), bewahre ich diese Anekdoten fein säuberlich auf, damit sie mir in einer Notlage einmal gute Dienste leisten.
    Folglich besitze ich lauter Papphefter, die von Ausschnitten bersten – wie zum Beispiel dem hier aus einer Zeitung in Portland, Maine. Überschrift: »Mann wieder an Baum gekettet gefunden«. Das »wieder« stach mir ins Auge. Wenn in der Titelzeile gestanden hätte, »Mann an Baum gekettet gefunden«, hätte ich vermutlich weitergeblättert. Das kann doch jeder, sich mal an einen Baum ketten lassen. Aber zweimal – na, das riecht doch allmählich nach Leichtsinn.
    Der Fesselungskünstler war ein gewisser Larry Doyen aus Mexico, Maine, der offenbar das hochinteressante Steckenpferd pflegte, sich mit Kette und Vorhängeschloß an einen Baum zu binden und dann den Schlüssel außer Reichweite zu werfen. Bei dieser Gelegenheit blieb er zwei Wochen draußen im Wald und wäre beinahe verhungert.
    Eine amüsante Geschichte und sicher eine heilsame Lektion für uns alle, die wir überlegt haben, ob wir nicht Freiluftfesseln als Hobby aufnehmen sollen. Aber was ich damit anzufangen gedachte, als ich noch nicht ahnte, daß ich einmal Kolumnen schreiben müßte, kann ich heute kaum noch sagen.
    Genauso schleierhaft ist mir im übrigen, worin ich die Bedeutung eines kleinen Artikels aus der Seattle Times vermutete, den ich aufbewahrt habe. Es geht darin um eine Gruppe US-Fallschirmjäger, die sich bereit erklärte, im Zuge ihrer Öffentlichkeitsarbeit in Kenwick, Washington, auf einem High-School-Footballfeld zu landen und dem Quarterback der Heimmannschaft den Ball für das Spiel zu überreichen. Mit lobenswerter Präzision sprangen sie, bunten Rauch aus Spezialleuchtraketen hinter sich herziehend, aus ihrem Flugzeug, vollführten etliche atemberaubend kesse Kunststücke und landeten – in einem leeren Stadion auf der anderen Seite der Stadt.
    Und warum ich folgende Geschichte aus der New York Times archiviert habe, entzieht sich mir heute ebenfalls. Ein Elternpaar schrieb die Gurgellaute seines Säuglings auf, brachte sie in Gedichtform (typische Zeile: »Uwah-uwah-uwah-uwah uah-uwah«), reichte das so gewonnene lyrische Extrakt bei einem Wettbewerb namens Nordamerikanischer Offener Gedichtwettbewerb ein, kam ins Halbfinale und – gewann einen Preis.
    Manchmal hebe ich leider nicht den gesamten Artikel, sondern nur einen Absatz daraus auf, so daß ich dann mit einem rätselhaften Fragment dastehe.
    Hier ein Zitat aus der Atlantic Monthly vom März 1996: »Ein Hautarzt, der in seiner Garage eine Gehirnoperation vornimmt, handelt vollkommen legal, wenn er einen Patienten findet, der bereit ist, sich auf den OP-Tisch zu legen und zu zahlen.« Hier ein Ausriß aus der Washington Post : »Forscher der University of Utah haben entdeckt, daß die meisten Männer drei Stunden lang hauptsächlich durch ein Nasenloch atmen und in den folgenden drei Stunden hauptsächlich durch das andere.« Der Himmel allein weiß, was sie in den übrigen achtzehn Stunden des Tages tun, denn ich habe den Rest des Artikels nicht aufbewahrt.
    Ich meine immer, daß ich diese Einzelstücke irgendwann einmal in einer Kolumne verwursten kann, aber ich bin noch nicht daraufgekommen, wie. Eines jedoch kann ich Ihnen hoch und heilig versprechen: Wenn ich es schaffe, lesen Sie es hier zuerst.

    Wie es ist, einen Sohn zu verlieren

    Heute wird's vielleicht ein wenig gefühlsduselig, und ich entschuldige mich auch schon im voraus. Als ich gestern abend an meinem Schreibtisch arbeitete, kam mein

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