Streiflichter aus Amerika
einen Nachteil in Kauf nehmen muß. In den »Innenlandschaften«, wie das Hotel sie nennt, gibt es tropische Pflanzen, ausgewachsene Bäume, Wasserfälle, Bäche, Open-air-Restaurants und Cafés sowie Gehwege auf allen Stockwerken. Sie erinnern verblüffend an die Bilder in den Science-fiction-Zeitschriften der Fünfziger, auf denen dargestellt war, wie das Leben in einer Weltraumkolonie auf der Venus wäre (zumindest dann, wenn alle Bewohner übergewichtige, mittelalterliche Amerikaner in Reeboks und Baseballmützen wären, die, ihr Essen aus dem Einschlagpapier verspeisend, durch die Gegend trotteten).
In einem Satz, das Opryland ist eine makellos aseptische, in sich geschlossene, autarke Welt mit dem immer gleichen wohlausgewogenen Klima, aber ohne kackende Vögel, nervige Insekten, Regen, Wind, ja irgend etwas Echtes.
Als ich an meinem ersten Abend unbedingt den in einem fort futternden, schlurfenden Horden entkommen wollte, trat ich, neugierig, wie das Wetter auf dem Planeten Erde war, hinaus, um ein wenig durch die Grünanlagen zu schlendern. Und raten Sie, was! Es gab überhaupt keine – nur kilometerweit Parkplätze, die sich, so weit das Auge reichte, in alle Richtungen in die »Landschaft« erstreckten. Auf der anderen Seite der Straße lag der nur ein paar hundert Meter entfernte Erlebnispark des Opryland, aber zu Fuß konnte man ihn nicht erreichen. Die einzige Möglichkeit hineinzukommen (entdeckte ich nach einigem Nachfragen), war, für drei Dollar eine Eintrittskarte zu erwerben und in einem vollklimatisierten Bus zu steigen, der einen in einer fünfundvierzigminütigen Fahrt zum Eingangstor brachte.
Wenn man nicht zwischen Tausenden geparkter Autos herumtigern wollte, gab es keinen Ort, an dem man frische Luft schnappen oder sich die Beine vertreten konnte. Im Opryland ist draußen drinnen, und so, begriff ich schaudernd, hätten viele Millionen US-Bürger liebend gern das ganze Land.
Als ich dort stand, ließ ein Vogel etwas auf meinen linken Schuh fallen, was man ja normalerweise nicht zu schätzen weiß. Aber ich schaute hoch, dann auf meinen Schuh und dann wieder gen Himmel.
»Danke«, sagte ich, und ich glaube, das kam von Herzen.
Ein Besuch beim Friseur
Sie müssen wissen, daß ich sehr fröhliches Haar habe. Egal, wie gleichmütig und gefaßt der Rest von mir ist, einerlei, wie feierlich und ernst die Situation, mein Haar läßt sich durch nichts bändigen. Auf jedem Gruppenfoto erkennen Sie mich sofort, weil ich der Mensch im Hintergrund bin, dessen Schopf, ganz privatim, aus der Reihe tanzt.
Voll unguter Vorgefühle begebe ich mich mit diesem meinem Haar ab und zu in einen Friseursalon im besseren Viertel der Stadt und erlaube einem der Herren dort, sich ein Weilchen damit zu verlustieren. Ich weiß nicht, warum, aber immer wenn ich zum Friseur gehe, werde ich zum Weichei. Kaum legt man mir einen Umhang um, nimmt mir die Brille ab und macht sich mit scharfen Schneidewerkzeugen an meinem Kopf zu schaffen, werde ich hilflos und unsicher.
Ich meine, ich sitze wehrlos da und blinzele, während ein mir völlig unbekannter Mensch oben auf meinem Kopf etwas veranstaltet, das gravierende Folgen hat und das ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedauern werde. Mittlerweile habe ich mir in meinem Leben garantiert zweihundertfünfzigmal die Haare schneiden lassen, doch wenn ich eins gelernt habe, dann, daß ein Friseur einem die Frisur verpaßt, die er einem verpassen will, und damit basta.
Deshalb ist ein Besuch bei diesen Haarkünstlern für mich immer absolut traumatisch. Besonders, weil ich stets den Figaro bekomme, den ich hoffe, nicht zu bekommen – normalerweise den Neuen, von dem es heißt, er habe »zwei linke Hände«. Mir graust insbesondere vor dem Moment, in dem er mich in den Stuhl setzt, wir beide zusammen auf das trostlose Desaster auf meinem Haupt starren und er besorgniserregend beflissen fragt: »Na, wie hätten Sie's denn gern?«
»Ach, einfach nur ein bißchen in Form schneiden«, antworte ich dann und schaue ihn rührend hoffnungsvoll an, weiß aber, daß er schon in Richtung extravagant aufgetürmter Toupierfrisuren und mit Schaumfestiger versteifter Wellen oder womöglich an einen Pony aus schaukelnden Ringellöckchen denkt. »Sie wissen schon, was Unaufwendiges, Dezentes – wie Bankbeamte oder Steuerberater es tragen.«
»Sehen Sie da oben einen Schnitt, der Ihnen zusagt?« fragt er und zeigt auf eine Wand voll alter Schwarzweißfotos mit
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