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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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vor die Tür.
    Sie trat an den winzigen Spiegel aus poliertem Stahl, der über der Waschkommode hing. Im flackernden Kerzenlicht sah sie besser aus, als sie sich fühlte. Ein rosiger Hauch lag auf ihrem Teint, und die Kupfersprenkel in ihren Augen schimmerten in einem geheimnisvoll silbrigen Licht. Ihr Haar umgab sie wie eine goldene Aureole. Um ihre Niedergeschlagenheit zu vertreiben, hatte Angeline am Nachmittag in der Küche Wasser erhitzt, die Treppe hinauf in ihr Zimmer geschleppt, ein Bad genommen und sich die Haare gewaschen.
    Es klingelte an der Gartenpforte. Sie achtete nicht darauf. Maria kümmerte sich schon darum.
    Die Tritte schwerer Stiefel auf der Veranda waren die erste Warnung. Sie näherten sich fest und zielbewußt. Marias atemloser, heftiger Protest war zu hören. Die Eindringlinge wollten also sicher zu ihr, denn Maria hatte ihnen bestimmt gesagt, daß die anderen Damen im Haus ausgegangen waren.
    Die Tür sprang auf. In schimmerndem Weiß traten Gustav, Meyer und Oswald ein und schoben Maria vor sich her. Sie blieben stehen, verbeugten sich und schlugen die Hacken zusammen, wobei Gustav die sich wehrende Zofe festhielt. Oswald hatte unter dem Arm eine sperrige Schachtel.
    »Bitte um Vergebung, daß wir hier so eindringen, Mademoiselle«, sagte Meyer. »Wir haben zwar wenig Ähnlichkeit mit der guten Fee aus Cinderella, sind aber trotzdem gekommen, um Euch zum Ball zu geleiten.«
    Angeline lächelte, einerseits vor Freude, sie zu sehen, und andererseits über den Scherz und ihre fröhlichen Gesichter. »Das ist nett von Euch, aber...«
    »Solltet Ihr beabsichtigen, Euch zu weigern«, unterbrach sie Gustav, »möchte ich Euch davon abraten. Wenn Ihr nicht mitkommt, läßt Rolf sämtliche Honoratioren mit ihren aufgeputzten Gattinnen, all die Politiker und Soldaten, die ihm unbedingt er-zählen müssen, wie sie vor sechs Jahren die Briten geschlagen haben, einfach stehen und holt Euch höchstpersönlich ab.«
    »Er ist ein wenig... gereizt«, fügte Oswald so ruhig hinzu, daß man ihn für seinen toten Bruder hätte halten können.
    »Es gibt wohl wenige Prinzen, die ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen mit so viel Geschick erfüllen - und so wenig Freude daran haben«, erklärte Meyer. »Außerdem hat sich die Angelegenheit, die ihn nach New Orleans führte, nicht günstig entwickelt, und dazu kam noch die schroffe Zurückweisung seiner Einladung zum Ball.«
    »Damit habe ich nichts zu tun, aber das ändert nichts daran, daß ich nicht mitkommen kann.«
    »Ihr müßt.«
    »Aber ich habe doch nicht einmal etwas, was ich für einen Ball anziehen könnte.«
    Oswald trat vor und legte die Schachtel aufs Bett. »Prinz Rolf sah diesen Einwand voraus. Das hier ist vor einigen Tagen nach Euren Maßen bestellt worden.«
    Da Angeline keine Anstalten machte, die Schachtel zu öffnen, hob Oswald den Deckel ab. Zum Vorschein kam ein weißes Kleid aus einer so hauchzarten Seide, daß sie wie Gaze wirkte; spinnwebfeine Kupferfäden waren hineingewebt. Das Mieder über der hohen Taille war mit schwerer, schimmernder Stickerei versehen und trug den Kragen über einem tiefen Decollete. Noch aufwendigere Stickerei verlieh der Schleppe, die fächerförmig von der Taille ausging, Schwere und Glanz.
    »Das... das kann ich nicht annehmen.«
    »Und wenn Ihr es tut«, sagte Maria gehässig, »wird Madame es Euch heimzahlen.«
    Gustav schüttelte sie. »Und wir werden es dir heimzahlen, wenn du noch einmal den Mund aufmachst.«
    »Seid Ihr hier eine Gefangene?« fragte Meyer. »Sagt uns, wer das gewagt hat, und wir werden mit der betreffenden Person ein Wörtchen reden.«
    »Nun, ganz so ist es nicht...«
    »Was zögert Ihr dann noch? Wißt Ihr, es wäre für Rolf eine große
    Hilfe, wenn Ihr erscheint. Er würde es selbst nie erwähnen, aber es heißt, er habe Euch von zu Hause verschleppt und schwer beleidigt. Wenn man sähe, daß Ihr auf freundschaftlichem Fuße mit ihm verkehrt, wären alle Geschichten ins Reich der Fabel verwiesen.«
    Angeline sah Meyer lange in die grauen Augen. Mitgefühl lag darin, Bedauern über das Niveau der Bitte, die er soeben geäußert hatte und über deren Notwendigkeit.
    Schließlich sagte Gustav in seinem tiefen Baß: »Meine Liebe, er vermißt Euch. Das ist alles. Er will Euch wenigstens zu Gesicht bekommen.«
    »Die hier behauptet, die Zofe Eurer Tante zu sein. Dann wird sie Euch das Haar frisieren«, fügte Oswald hinzu. »Die Kutsche steht vor der Tür.«
    »Bitte nicht«,

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