Strom der Sehnsucht
erwiderte Angeline und schlug die Hände vors Gesicht, doch sie merkte selbst, wie unsicher ihre Worte klangen.
»Wir sind strengstens angewiesen, keine Gewalt anzuwenden. Aber er selbst wird sich, wie Ihr wissen solltet, nicht auf dieselbe Weise zurückhalten.« Meyers Worte waren sanft und hintergründig.
Angeline hob den Kopf. »Also gut, wenn Maria mich frisiert, komme ich mit.«
»Sie wird ihr Bestes geben«, versprach Gustav, »sonst kann sie auf dem Grund des Mississippi an den Algen herumschneiden...«
Der drohende Blick, der diese Worte begleitete, war ein mächtiger Ansporn. Maria steckte Angeline das Haar zu einer schimmernden Lockenkrone auf, die prächtig auf ihrem wohlgeformten Kopf saß. Dann half sie ihr ins Kleid.
Angeline ging mit der Schleppe über dem Arm die Treppe hinunter den wartenden Herren entgegen. Sie halfen ihr in die wartende Kutsche, eine niedrige Equipage mit Goldverzierungen. Meyer, Gustav und Oswald schwangen sich in den Sattel und eskortierten sie zur Gesandtschaft.
Ein Raunen der Bewunderung ging durch die gaffende Menge, als Angeline aus der Kutsche stieg. Sie fragte sich flüchtig, ob wohl ihre Tante unter den Zuschauern war, doch es schien ihr nicht mehr wichtig. An Meyers Arm schritt sie die Treppe zu den Flügeltüren hinauf und ließ die Schleppe hinterher gleiten. Lächelnd trat sie ein, als dem französischen Konsul und seiner Frau ihr Name genannt wurde, lächelnd machte sie einen anmutig natürlichen Knicks, als Rolf ihr die Hand reichte, lächelnd sah sie Leopold in die dunklen, ernsten Augen. Dann hatte sie die Empfangsreihe hinter sich und konnte aufatmen.
Ich bin ja verrückt, dachte sie. Mit seinem messerscharfen Verstand muß ihm sofort auffallen, daß etwas nicht stimmt. Ich muß jede weibliche List und all meine Waffen benutzen, um ihm die Wahrheit zu verhehlen. Was, wenn er erfährt, wie sehr ich mich nach ihm sehne? Was, wenn er herausfindet, daß ich ein Kind von ihm bekomme? Keines von beiden wird ihn freuen. Ich muß diese Bürde alleine tragen.
»Ihr seht ein wenig erhitzt aus«, sagte Meyer. »Ich fürchte, wir haben Euch ein bißchen gehetzt. Möchtet Ihr etwas trinken? Es gibt heißen Glühwein, eiskalten Champagner und dieses Orangenblütenwasser, das offenbar das Lieblingsgetränk der Damenwelt von New Orleans ist.«
»Danke - letzteres, glaube ich«, erwiderte sie. Er entfernte sich, um es ihr zu bringen, und sie schaute sich um.
Es war nicht übertrieben zu behaupten, daß die Frauen von New Orleans das Feinste hervorgeholt hatten, was ihre Schränke boten: Kleider aus orientalischer Seide und Lyoner Samt, besetzt mit Spitzen und Juwelen, verbrämt mit Pelz oder Satinborten, Gewänder aus Brokat und Brokatelle. Über zweitausend Kerzen beschienen die Diamanten, die an Hälsen, Armgelenken und Ohren hingen. Das vielfarbige Spiel blitzender Smaragde, Rubine und Saphire spiegelte sich an den Wänden, und der Duft teuren Parfüms verbreitete sich im Saal wie Weihrauch in einer Kathedrale.
»Hier, bitte«, sagte Meyer, der wieder neben ihr stand.
Angeline nahm ihm das Gläschen ab und führte es mit einem gemurmelten Dankeschön an die Lippen. Der Duft von Orangenblütenwasser drang ihr in die Nase. Wie ein Keulenschlag überkam sie die Übelkeit, als sie etwas Ähnliches wie Laudanum roch, das Schlafpulver, das ihr Andre verabreicht hatte und von dem ihr erst kürzlich schlecht geworden war. Wie die Droge war auch dies Getränk aus der Frucht des orientalischen Mohns gewonnen. Sie hätte daran denken müssen. Tante Berthe hatte es immer zur Nervenberuhigung zu sich genommen.
»Was habt Ihr?« fragte Meyer, schirmte sie von den anderen Gästen ab und nahm ihr das Glas aus der bebenden Hand, während sie die andere vor den Mund preßte.
»Nichts«, stöhnte Angeline und schüttelte den Kopf. »Es geht vorüber.«
»Seit Ihr sicher?«
Sie nickte, raffte sich zu einem Lächeln auf und ließ die Hand sinken, als die Übelkeit nachließ. Dennoch hatte sie den Eindruck, daß Meyer nicht überzeugt war. Er musterte sie mit seinem grauen Blick, ihre sanften Augen, den Teint, der trotz dieses Anfalls pfirsichrosa blühte, den blaugeäderten schwellenden weißen Busen über dem tief ausgeschnittenen Mieder.
Sie schaute sich nach etwas um, um Meyer abzulenken, und sah, wie sich das Empfangsdefilee auflöste und die Konsulin mit Rolf im Schlepptau ihre Runde durch den Saal machte. Jedesmal, wenn sich der Ehrengast vor jemandem verbeugte, den die Dame
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