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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Blake
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ihm nach. Er schwieg, und die türkisblauen Augen blickten nachdenklich, dann schüttelte er auf einmal den Kopf. Er reichte Angelines Hand in einer förmlichen Geste seinen Arm und führte sie ins Haus zurück.
    Das Abendessen verlief in angespanntem Schweigen. Als es vorüber war, stand Rolf auf und ging zum Kamin. Sein blondes Haar glänzte im Licht der Kerzen. Entschlossen hob er den Kopf: »Ich rufe das Tribunal zusammen.«
    Dieser Satz war von Bedeutung, das erkannte Angeline an der Aufmerksamkeit, die ihm geschenkt wurde. Gustavs Narbengesicht wurde ernst, und er stand langsam auf.
    »Über wen sollen wir richten?«
    Meyer, der sich ebenfalls erhoben hatte, antwortete ihm: »Über mich, nehme ich an.«
    »Wie lautet der Vorwurf?«
    »Pflichtversäumnis.« Rolfs Stimme war weder laut noch anklagend. Die Worte fielen in eine lastende Stille.
    »Wer ist Zeuge?«
    »Angeline.«
    Als sie ihren Namen hörte, warf sie Rolf einen Seitenblick zu. Er beobachtete sie, aber seine blauen Augen verrieten nicht, was er dachte. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich... ich kann nichts sagen.«
    »Ihr unterschätzt Euch«, antwortete er ruhig und bestimmt. »Wir verlangen nur, daß Ihr uns mitteilt, wie Ihr heute nachmittag aus dem Haus gekommen seid.«
    Angeline sah Meyer an. Er erwiderte ihren Blick in aufrechter, militärischer Haltung, und in seinen grauen Augen lag eine Art ärgerliche Nachdenklichkeit, als bedaure er inzwischen den Impuls, der ihn bewogen hatte, sie gehen zu lassen.
    Das nun folgende Verhör war erschöpfend. Jeder, auch der Angeklagte, hatte das Recht, jede Einzelheit zu hinterfragen. Die Prozedur war ein gradliniges Forschen nach der Wahrheit. Als es nichts mehr zu fragen gab, richtete Rolf sich an Meyer.
    »Was ist dir lieber: Urteil und Vollstreckung durch deinesgleichen oder der Zweikampf?«
    Meyer zupfte an der Unterlippe, ein nachdenklicher Blick lag auf seinem breiten Gesicht, dann hob er lächelnd die Arme. »Ich gebe offen zu, daß ich nachlässig war. Allerdings bin ich immer noch nicht überzeugt, daß ich mich so sehr im Unrecht befand. Ich sehe nur wenig Sinn darin, diese Frau hier festzuhalten. Da es ehrenhafter ist als die öffentliche Bestrafung, und weil es mir die Möglichkeit gibt, nicht nur einzustecken, sondern auch auszuteilen, wähle ich den Zweikampf.«
    Das jähe Aufblitzen in Rolfs Augen war das einzige Anzeichen für die Genugtuung, die ihn erfüllte. »Ich habe das Recht, die Waffen zu wählen. Um zu zeigen, daß nicht nur du ritterlich sein kannst, wähle ich Stöcke.«
    »Stöcke? Aber wir haben keine dabei«, protestierte Gustav.
    »Der Wald ist voll davon.«
    Mit Ausnahme von Meyer stürzten sich alle in die regnerische Nacht, ließen sich Äxte bringen und diskutierten ausgelassen über die erforderliche Stärke der Stäbe. Als ihre Stimmen verklungen waren, stand Angeline auf. Niedergeschlagen sagte sie: »Ich werde nach oben gehen.«
    »Hiergeblieben.«
    Ein eindeutiger Befehl.
    »Ich ziehe es aber vor, nicht Zeugin dieser Szene zu sein.«
    »In dem Fall«, erwiderte Rolf und hielt den Blick aus ihren dunklen Augen fest, »wäre der Zweck der Übung verfehlt.«
    Er wußte, was Meyer getan hatte, und er wollte, daß die Schuld an seiner Bestrafung schwer auf derjenigen lastete, die sie verursacht hatte: auf ihr. Meyer sollte allerdings bezahlen, wenn auch nicht so sehr für das bloße Pflichtversäumnis als dafür, daß er gegen Rolfs Willen gehandelt und sich in seine Angelegenheiten eingemischt hatte; weil er seinem Mitgefühl den Vorzug vor dem Zweck ihres Hierseins gegeben hatte. Die Wahl von Stöcken war keineswegs ein Zugeständnis an Meyer, sondern aus einem anderen Grund erfolgt: Niemand sollte schwere Verletzungen davontragen. Aber die Lektion würde schmerzhaft werden.
    Meyer wußte das und ließ den Kopf hängen. »Kämpfe ich mit Euch, Rolf, oder werdet Ihr einen Kämpfer für das Tribunal wählen?«
    »Du kennst meine Politik: Ich kämpfe nicht mit einem Mitglied der Garde. Was die Wahl eines Kämpfers betrifft, so wird das nicht nötig sein. Dein erster Gegner ist Gustav, der zweite Leopold, dann Oswald - und Oskar.«
    »Alle vier?«
    »Alle vier. Natürlich nacheinander.«
    »Natürlich«, wiederholte Meyer mit grimmigem Gesicht.
    Der Anschein einer ehrenhaften Bestrafung täuschte. Meyer hatte eine ordentliche Abreibung zu erwarten. Er war zwar der größte und stärkste der Garde, konnte aber nicht darauf rechnen, alle zu besiegen. In dem

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