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Stromschnellen: Roman (German Edition)

Stromschnellen: Roman (German Edition)

Titel: Stromschnellen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Jo Campbell
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war.
    Michael nickte. Er hielt sanft ihre Hände. »Cleo wird langsam kalt, wenn sie noch länger draußen warten muss. Ab sofort kriegt sie einen Doppelnamen, so wie du. Wir könnten sie King Cleo nennen. Komm rein, ich mach dir ein Omelett. Und morgen Nachmittag bedankst du dich bei mir dafür.«
    Bevor Margo durch die Tür ging, schaute sie über den Fluss zur dunklen Hütte. Morgen, wenn Paul weg wäre, wollte sie hinrudern, um ihre Sachen zu holen. Hoffentlich lag ihr Rucksack noch unterm Bett. King folgte ihr ins Haus, wo es warm und sicher war.

ZWEITER TEIL

11. KAPITEL
    Margo holte die Post aus dem Briefkasten. Es war April, und seit Ende September wohnte sie bei Michael. Die Gefahr, dass der Fluss zufror oder über die Ufer trat, war nun vorüber, und sie hatten tags zuvor das Floß zu Wasser gelassen. Heute war Margo mindestens zwanzig Mal über die Planke aufs Floß gelaufen, weil es ihr Spaß machte, wie es unter ihrem Gewicht leicht wegsackte. Ein Brief war an Margaret Louise Crane adressiert, und das ließ sie hoffen, er käme von ihrer Mutter, der sie geschrieben und Michaels Adresse mitgeteilt hatte. Sie hatte von ihr eine Weihnachtskarte erhalten, in der Luanne abermals betont hatte, dass jetzt kein guter Zeitpunkt für einen Besuch wäre und dass sie bald wieder schreiben würde. In der Karte hatte ein Zwanzigdollarschein gelegen. Dieser Umschlag jedoch kam vom Staatssekretär von Michigan und enthielt den Personalausweis, den Margo vor drei Wochen beantragt hatte. Den Ausweis brauchte sie für ihren Jagd- und Angelschein.
    Als Michael abends nach Hause kam, ging er wie gewohnt ins Haus. Kurz darauf verließ er es durch die Hintertür wieder und steuerte auf Margo zu, die ein Stück flussaufwärts am Grundstücksrand gerade einen Katzenwels häutete. Michael ekelte sich vor solchen blutigen Arbeiten und vermied es normalerweise, ihr beim Zerlegen von selbst geangeltem Fisch oder selbst erlegtem Wild zuzuschauen.
    »In deinem Personalausweis steht, dass du 1963 geboren bist.« Er erstickte fast an den Worten. »Ich habe ihn auf dem Tisch liegen sehen.«
    »Ach ja?«
    »Im November, also kurz nachdem du bei mir eingezogen bist, bist du erst siebzehn geworden. Mein Gott, Margaret!«
    Der Schwanz des Katzenwelses rollte sich am Baumstamm auf. Der Fisch krümmte den halb gehäuteten Körper und stemmte sich gegen den Nagel, der seinen Kopf am Baum festhielt. Es war ein angenehmer Nachmittag, und Margo hatte nicht mehr daran gedacht, dass ihr Alter eine Rolle spielen könnte.
    »Um Himmels willen, Margaret, kannst du ihm nicht auf den Kopf schlagen oder so was?«
    »Wieso?«
    »Willst du wirklich ein Tier bei lebendigem Leib häuten?«, fragte Michael. »Der verdammte Fisch quält sich. Kannst du ihn nicht zuerst töten?«
    »Mein Grandpa hat mir beigebracht –«
    »Hat er dir beigebracht, eine Kreatur bei lebendigem Leib zu häuten?«
    »Er hat … Ich wollte sagen … Fische empfinden keinen Schmerz.«
    »Herrje, Margo, schau dir doch an, wie er sich windet – wenn das kein Schmerz ist, was denn dann.«
    Margo nahm ihr Messer und durchtrennte dem Katzenwels das Rückenmark. Sein Körper fiel zu Boden.
    »Tut mir leid, dass ich so heftig geworden bin«, entschuldigte sich Michael. »Ich hab noch nie einen Fisch so kämpfen sehen. Aber so ist es besser.«
    »Ich schlage ihnen vorher immer auf den Kopf, aber manchmal wachen sie auf.«
    Er hielt ihren Ausweis mit Daumen und Zeigefinger hoch. »Sogar auf einem Ausweisfoto bist du schön. Mein Gott, Margaret!«
    Sie stand stumm da, den kopflosen Fisch in einer Hand, das Messer in der anderen. Schweigen war bisher immer ihre beste Antwort gewesen, wenn Michael sich aufregte.
    »Als wir uns kennenlernten, hast du zu mir gesagt, dass du bald neunzehn wirst. Damals warst du sechzehn. Ich habe mit einer Sechzehnjährigen geschlafen! Und jetzt lebe ich mit einer Siebzehnjährigen zusammen. Hör auf, mich so anzusehen! Es macht mich wahnsinnig, wenn du mich anstarrst.«
    Margo sah an ihm vorbei auf den Fluss.
    »Welche Altersgrenze gilt in Michigan für sexuelle Mündigkeit? Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal wissen müsste.«
    Margo sah ihm nach, wie er über den Rasen ging und im Haus verschwand. Wenn Michael sich aufregte, hielt seine Wut in der Regel nicht lang an. Ob es diesmal anders wäre, wusste sie nicht und was das dann hieße. Sie zog dem Wels die restliche Haut ab.
    Der Winter hatte sich allzu lang hingezogen, doch nun, wo endlich

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