Stürmische Begegnung
bekommen, und ich dachte, wir könnten heute abend welchen essen. Ich werde Ihnen mein Auto leihen. Haben Sie einen Führerschein?“
„Ja, aber kann ich nicht zu Fuß hinuntergehen? Ich laufe gern, und es ist ein so schöner Morgen.“
„Natürlich, wenn Sie möchten. Sie können die Abkürzung über die Felder und die Klippen entlang nehmen.“ Plötzlich hatte sie eine Idee: „Nehmen Sie doch Andrea mit, sie kann Ihnen den Weg zeigen und Ihnen sagen, wo das Fischgeschäft ist. Außerdem bekommt sie nie Bewegung, wenn sie nicht zu ihrem Glück gezwungen wird, und ein Spaziergang würde ihr guttun.“ Es klang, als wäre Andrea ein träger Haushund. Der Gedanke, fast den ganzen Morgen mit Andrea zu verbringen, begeisterte mich nicht gerade, aber ich hatte Mitleid mit Mollie, die dieses unangenehme Mädchen am Hals hatte. Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, machte ich mich auf die Suche nach ihr. Mollie sagte, sie hätte sie zuletzt auf der Terrasse gesehen.
Ich fand sie in eine Wolldecke gehüllt in einem Liegestuhl aus Korbgeflecht. Sie ließ sich von der Sonne bescheinen und starrte trübsinnig in die Gegend, wie ein seekranker Passagier auf einem Ozeandampfer.
„Möchten Sie mit nach Porthkerris ?“ fragte ich.
Sie sah mich mit ihren hervorstehenden Augen an. „Wozu?“
„Mollie hat mich gebeten, Fisch zu holen, und ich weiß nicht, wo das Geschäft ist. Außerdem ist es ein schöner Morgen, und ich dachte, wir könnten zu den Klippen hinuntergehen.“
Sie zuckte die Achseln. „Meinetwegen.“ Als sie sich aus der Decke schälte und aufstand, bemerkte ich, daß sie dieselben schmuddeligen Jeans trug wie gestern und dazu einen ausgeleier ten schwarzweißen Pulli, der bis über ihre schmalen Hüften reichte. Wir gingen zur Küche, holten einen Korb und gingen dann über die Terrasse den Garten hinunter zum Meer hin.
Am Ende des Gartens führten Stufen über die Mauer. Andrea ging vor mir, aber ich blieb stehen, weil ich mir das Atelier von dieser Seite ansehen wollte. Wie Joss gesagt hatte, war es ver schlossen und wirkte ein bißchen heruntergekommen. Die Vor hänge hinter dem großen Fenster an der Nordseite waren dicht zugezogen, so daß kein Neugieriger einen Blick hineinwerfen konnte.
Andrea stand auf der Mauer, ihr Blick folgte meinem. „Er malt nicht mehr“, sagte sie. „Ich weiß.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, warum. Er ist vollkommen ge sund.“ Sie sprang mit wehendem Haar von der Mauer, und ich konnte sie nicht mehr sehen. Ich warf noch einen Blick auf das Atelier und folgte ihr dann. Wir nahmen einen ausgetretenen Pfad, der zwischen kleinen unregelmäßig geformten Feldern und Wiesen nach unten führte, und erreichten hinter einigen hüftho hen Ginsterbüschen einen Zauntritt, hinter dem der Weg zu den Klippen lag.
Offensichtlich war dieser Spaziergang sehr beliebt bei Touri sten, denn an geschützten Aussichtspunkten standen Bänke, es gab Abfalltonnen für Müll, und dann sah ich einige Schilder, die davor warnten, sich dem Rand des Steilufers zu sehr zu nähern, weil sich Felsbrocken lösen könnten.
Andrea trat sofort an den Rand der Klippen und spähte hinun ter. Möwen sausten neugierig um sie herum und schrien, der Wind zauste an ihrem Haar und ihrem Pullover, und von weit unten hörte ich das dumpfe Brausen der Brandung. Sie breitete die Arme aus und schwankte ein wenig, als würde sie gleich hin abstürzen, doch als sie sah, daß es mir gleich war, ob sie mit ihrem Leben spielte oder nicht, kehrte sie auf den Weg zurück, und wir gingen im Gänsemarsch weiter, Andrea voran.
Die Klippen machten eine Biegung, und vor uns kam der Ort in Sicht. Die niedrigen grauen Häuser schmiegten sich rings um die Bucht und sprenkelten den steilen Hang zum Hochmoor. Wir gingen durch ein schmales Tor und waren nun auf einer rich tigen Straße, wo wir nebeneinander gehen konnten.
Andrea wurde allmählich gesprächig.
„Ihre Mutter ist kürzlich gestorben, nicht wahr?“
„Ja.“
„Tante Mollie hat mir von ihr erzählt. Sie hat gesagt, sie sei ein Flittchen gewesen.“
Es kostete mich Mühe, ruhig zu bleiben. Ich wollte Andrea nicht den Triumph gönnen, daß ich aus der Haut fuhr.
„Sie hat sie kaum gekannt. Sie haben sich jahrelang nicht gese hen.“
„War sie ein Flittchen?“
„ Nein.“
„Mollie hat gesagt, sie habe mit mehreren Männern zusam mengelebt.“
Da wurde mir bewußt, daß Andrea nicht versuchte, mich auf die Palme zu bringen, sondern
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