Stürmische Begegnung
zurückkam, war sie fort, aber einen Moment später trat sie aus einem Zei tungsladen nebenan, wo sie ein Porno-Magazin namens True Sex gekauft hatte.
„Sollen wir zurückgehen?“ fragte ich. „Oder möchten Sie noch etwas einkaufen?“
„Ich kann nicht einkaufen, ich hab kein Geld. Nur noch ein paar Pence.“
Sie tat mir plötzlich leid. „Ich spendiere Ihnen eine Tasse Kaf fee, wenn Sie möchten.“
Sie sah mich freudig an, und ich dachte schon, sie sei ganz begeistert über mein bescheidenes Angebot, als sie hinzufügte: „Gehen wir zu Joss und besuchen ihn.“
Ich war überrascht. „Warum wollen Sie Joss besuchen?“
„Einfach so. Ich tue es oft, wenn ich hier im Ort bin. Er freut sich immer, wenn ich komme. Ich hab ihm versprechen müssen, jedesmal vorbeizukommen, wenn ich in Porthkerris bin.“
„Wie wollen Sie wissen, daß er da ist?“
„Na ja, er ist heute nicht in Boscarva, also muß er im Laden sein. Sind Sie schon mal dagewesen? Es ist super, er hat im ober sten Stock eine Bude wie aus einer Illustrierten, mit einem riesi gen Polsterbett und jeder Menge Kissen und so, und einem Ka min. Und abends – “ ihre Stimme wurde träumerisch – „ist es ganz verwunschen und romantisch, nur vom Feuer beleuchtet.“
Ich gab mir Mühe, nicht den Mund aufzusperren. „Sie mei nen… Sie und Joss…“
Sie zuckte mit den Schultern und warf die Haare zurück. „Ein- oder zweimal, aber niemand weiß es. Ich weiß gar nicht, warum ich es Ihnen erzählt habe. Sie werden es doch nicht den anderen sagen?“
„Aber… fragen sie denn nicht… Ich meine, stellt Mollie keine Fragen?“
„Oh, ich sag ihr einfach, ich gehe ins Kino. Sie scheint nichts dagegen zu haben, daß ich ins Kino gehe. Kommen Sie, gehen wir zu Joss.“
Doch nach dieser Enthüllung hätte mich nichts dazu bewegen können, Joss’ Geschäft zu nahe zu kommen. „Er hat bestimmt zu tun und möchte nicht gestört werden. Außerdem haben wir nicht genug Zeit. Und ich habe keine Lust.“
„Sie haben doch gesagt, Sie wollen mir eine Tasse Kaffee spen dieren, dafür hätten wir doch auch genug Zeit gehabt. Warum nicht für Joss?“
„Andrea, ich sage Ihnen doch, ich möchte nicht.“
Sie lächelte spöttisch. „Ich dachte, Sie mögen ihn?“
„Darum geht es nicht. Er hat bestimmt etwas dagegen, wenn er auf Schritt und Tritt über uns stolpert.“
„Meinen Sie mich?“
„Ich meine uns beide.“ Ich verzweifelte allmählich.
„Mich will er immer sehen. Das weiß ich.“
„Ja, sicher“, sagte ich freundlich. „Gehen wir jetzt zurück nach Boscarva.“
Ich rief mir ins Gedächtnis, daß ich Joss von Anfang an unsym pathisch gefunden hatte. Trotz seiner Fürsorge und seiner augen scheinlichen Freundlichkeit hatte ich in seiner Gegenwart immer ein sonderbares Unbehagen gespürt. Gestern hatte ich angefan gen, den anfänglichen Widerwillen zu vergessen und ihn ein klein wenig zu mögen, doch nach Andreas Geständnis fiel es mir nicht schwer, die Abneigung gegen ihn wieder zu wecken. Er sah zu gut aus, er war zu charmant. Andrea war vielleicht eine Lügnerin, aber sie war nicht dumm, im Gegenteil, sie hatte den Rest der Familie mit beunruhigendem Scharfblick nach kurzer Zeit durchschaut, und wenn an dem, was sie über Joss gesagt hatte, auch nur ein Körnchen Wahrheit war, wollte ich nichts damit zu tun haben.
Wenn ich ihn besser gekannt und lieber gemocht hätte, hätte ich ihn beiseite genommen und mit dem konfrontiert, was sie mir eben erzählt hatte. Aber so war es nicht weiter wichtig für mich. Außerdem gab es genug anderes, woran ich denken mußte.
Grenville kam an jenem Tag nicht zum Mittagessen herunter.
„Er ist ein bißchen abgespannt“, erklärte Mollie. „Er will heute im Bett bleiben. Vielleicht kommt er zum Dinner. Pettifer wird ihm etwas zu essen hinaufbringen.“
So aßen wir drei allein. Mollie hatte ein dezentes Wollkleid angezogen und trug eine zweireihige Perlenkette. Sie sagte, sie wolle nachher zu Freunden nach Fourbourne, zum Bridge. Sie hoffte, ich würde mich allein beschäftigen können.
Ich versicherte, daß ich selbstverständlich sehr gut allein zu rechtkäme. Wir lächelten uns an, und ich fragte mich, ob sie meine Mutter wirklich als Flittchen bezeichnet hatte, oder ob das nur Andreas Interpretation einer wohlwollenderen Beschrei bung war. Warum hatte Mollie es überhaupt für nötig gehalten, mit ihr über meine Mutter zu sprechen? Sie war jetzt tot, aber sie war früher lustig
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