Stuermische Gefahr
dieses ungute Gefühl wieder von ihr Besitz. Lily hatte ihre Hand genommen.
„Hör zu, ich weigere mich auch , an diese Dinge zu glauben, aber was wissen wir schon, was sich so alles zwischen Himmel und Erde abspielt. Phoebe ist eine von den Guten. Behalte es einfach. Es schien ihr wichtig. Wirf es nicht weg.“
„Warum habe ich dann kein gutes Gefühl dabei?“
„Kann es sein, dass sie dir etwas gesagt hat, was du nicht hören wolltest?“
„Sie hat etwas gewusst … ich weiß auch nicht. Vielleicht war es nur Zufall.“ Scarlett rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her.
Lily sah sie lange an. „Es geht mich nichts an, aber du kannst mir vertrauen. Ich weiß, dass du … ein Geheimnis hast.“
Es wäre schön gewesen , sich jemandem anzuvertrauen, aber nicht hier und jetzt. Scarlett drückte Lilys Hand. „Danke. Ich bin keine Verbrecherin oder so was. Ich musste nur vor jemandem flüchten. Mehr kann ich dir nicht sagen. Das ist sicherer für dich.“
„Ich habe mir so was schon gedacht.“
Sie beschloss das Thema zu wechseln.
„Was ich dich fragen wollte Lily, kann ich euch irgendwie unterstützen? Wegen deiner Mutter meine ich. Schaffst du das alles?“
„Das ist schon in Ordnung. So ist halt mein Leben.“
„Aber …“
Lily unterbrach sie. „Ich komme nun mal aus einer dieser Familien, wo das so ist. Wir sind füreinander da. Egal was passiert. Und egal, ob ich selbst darunter leide. Ich könnte nicht gehen, so wie meine Schwester. Verstehst du?“
„Ich versuche es.“ Scarletts Handy vibrierte in ihrer Tasche. Sie warf einen Blick auf das Display. „Das Krankenhaus.“
Lily kicherte. „Vielleicht hat Del Monte Sehnsucht nach dir. Jeder weiß doch, dass er an dir interessiert ist.“
Scarlett verdrehte die Augen und nahm das Gespräch entgegen.
„Bea hier. Ich habe heute Schicht. John Doe ist ver schwunden. Ich hab Del Monte informiert. Schätze mal, der wird gleich die Polizei rufen. Wollte dir nur Bescheid sagen, weil der Typ heute Abend nach dir gefragt hat. Schien enttäuscht zu sein, dass du nicht da bist. Vielleicht hast du ja ne Idee, wo er ist.“
„Ich bin sofort da.“
Lily sah sie fragend an. In knappen Sätzen erklärte Scarlett, was los war.
„Dann hatte Mia recht. Du hast mehr Zeit als nötig mit ihm verbracht. Sie glaubt, dass du weißt, wer er ist.“
„Begleitest du mich?“
Lily stand auf. „Natürlich, dafür sind Freundinnen da.“
4
Charity Hospital, New Orleans
Scarlett war außer Atem, als sie im Krankenhaus ankamen. Sie war förmlich zur Station gerannt. Del Monte stand am Tresen mit Bea und zwei Pflegern. Auf Del Montes Gesicht spiegelte sich Verwunderung wider. Natürlich. Weder Lily noch sie hatten hier heute Abend irgendetwas verloren. Auch Bea schien den Blick des Arztes bemerkt zu haben.
„Ich habe sie angerufen.“
Del Monte runzelte die Stirn. „Hallo, Scarlett.“ Kein Lächeln heute Abend. Er nickte Lily zu. „Lily.“
„Wie konnte er einfach verschwinden?“ Scarlett bekam langsam wieder Luft. „Er kann noch nicht weit sein! Er ist noch viel zu schwach.“ Gott sie musste sich zusammenreißen. Es war für alle schon verwunderlich genug, dass sie überhaupt hier war. Ihre Sorge um ihn würde keiner verstehen. Sie verstand es selbst nicht.
„Wir haben allen Abteilungen Bescheid gesagt.“
„Was ist mit den Kameras an den Ein- und Ausgängen?“, fragte Lily.
Del Monte zuckte die Schultern. „Ihr wisst , wie das ist. Wegen der Hitze läuft die Klimaanlage auf Hochtouren. Die medizinischen Geräte müssen betrieben werden. Würden wir die Kameras noch laufen lassen, wäre unser System überlastet.“
„Verdammt“, entfuhr es Scarlett.
„Was hat er überhaupt an? Doch nicht etwa das Krankenhaushemdchen? Oder hat er sich Scrubs aus dem Lager genommen?“ Lily hatte eindeutig noch einen kühlen Kopf. Im Gegensatz zu Scarlett, die an diese praktischen Dinge gar nicht gedacht hatte.
Bea beantwortete die Frage. „Seine Sachen, die er trug , als er in Baton Rouge eingeliefert wurde, sind heute Nachmittag vom Reinigungsdienst gekommen. Mia hatte sie ihm in den Schrank gehängt.“
„Er benötigt Medikamente.“ Del Monte spielte nervös mit seinem Kugelschreiber.
Die Aufzugtüren öffneten sich und Lieutenant Limario Lopez betrat den Krankenhausflur. „Ich bin entzückt. Ihnen gehen die Patienten verloren.“
Scarlett war der Mann auf Anhieb unsympathisch. Seine Haltung strahlte aus, dass er an jedem Ort lieber
Weitere Kostenlose Bücher