Stürmische Verlobung
Grace.«
Tante Letitia beugte sich heran. »Ich glaube, sie meint Lord Somerton, Liebes.«
»Er wird heute Abend sicher kommen«, fügte ihre Tante Viola hinzu. »Wir haben ihn nämlich mehr oder weniger eingeladen, musst du wissen.«
»Ja«, sagte Eliza, »das hat Grace mir bereits erzählt.« Die Einmischung ihrer Tanten hätte für Eliza natürlich zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können, aber für Magnus war es nicht anders, vorausgesetzt er würde heute Abend erscheinen. Denn wenn er noch nicht krank vor Sorge über den drohenden Verlust seines Familiensitzes war, dann würde ihn das heutige Stück, Massingers Eine neue Weise, alte Schulden zu bezahlen , wahrscheinlich in die Verzweiflung treiben.
Das Orchester begann zu spielen, und der Bühnenvorhang hob sich und offenbarte den berühmten Schauspieler Edmund Kean, der die Rolle des Sir Giles Overeach spielte.
Eliza hörte Grace vor Vorfreude nervös kichern. Sie hatte die ganze Woche kaum über etwas anderes gesprochen. Kean war dunkel und geheimnisvoll, und es hieß, sein schauspielerisches Talent wäre so mitreißend, so gewaltig, dass erst gestern Abend zwanzig Zuschauer nervöse Anwandlungen bekommen hätten.
Doch Eliza seufzte nur tief. Sie hatte nicht den Wunsch, hier zu sein. Mit halbem Ohr hörte sie Keans bewegende Darbietung, den stockenden Atem des gebannten Publikums, das Trillern der Instrumente des Orchesters, doch wie bei Stimmen, die man über einen reißenden Strom hinweg hörte, fehlten alle Nuancen.
Elizas Gedanken kreisten um Magnus und darum, wie sie reagieren würde, wenn er auftauchte. Wo blieb er nur?
Eliza kniff die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Dunkelheit, nahm sich Reihe um Reihe auf der Suche nach Magnus vor. Doch es war hoffnungslos. Es waren einfach zu viele Gentlemen, alle viel zu ähnlich gekleidet. Als sie fast schon aufgegeben hatte, betrat ein hochgewachsener Mann mit ebenholzschwarzen Haaren die gegenüberliegende Loge auf der anderen Seite des Theaters.
Eliza schnürte sich der Magen zusammen. Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können, dann bat sie Tante Viola flüsternd: »Dürfte ich mir dein Opernglas borgen?«
»Natürlich, Liebes.«
Eliza nahm mit zitternder Hand das Opernglas und hielt es sich vor die Augen. Der Gentleman war jetzt klar und deutlich zu erkennen.
Ein vertrautes Kribbeln lief über ihren Körper. Magnus .
Eliza saß einen Moment wie versteinert da in der Hoffnung, dass Magnus sie nicht bemerken würde, wenn sie sich nicht rührte. Doch er entdeckte sie. Mehr noch, er starrte sie unverhohlen an, und seine Miene war so finster, dass Eliza zusammenzuckte. Das Opernglas glitt aus ihren behandschuhten Fingern, dann rutschte es von ihrem Schoß und landete polternd zu ihren Füßen.
Grace warf Eliza einen ärgerlichen Blick zu, während diese sich hinabbeugte und unter dem Sitz umhertastete, bis ihre Finger das glatte Perlmuttgestell fanden. Eliza griff danach und hob das Opernglas eilig wieder vor ihre Augen.
Magnus stand auf und gab ihr ein Zeichen, dann deutete er auf sich selbst und den Ausgang seiner Loge.
Eliza stockte der Atem. Er konnte doch wohl nicht erwarten, dass sie stehenden Fußes aus ihrer Loge stürmen würde, um sich mit ihm zu treffen, oder? Wenn ja, musste er den Verstand verloren haben. Sie schüttelte unwirsch den Kopf.
Er nickte und zeigte mit dem Finger auf sie.
Nein , hauchte sie stumm.
Mit einem Mal drehte Magnus sich abrupt um und verschwand durch die Tür seiner Loge.
Elizas Herz schlug gegen ihre Rippen. Er kam, um sie zu holen. Ein Teil von ihr fand diese Vorstellung erregend. Der Rest zitterte ängstlich. Obgleich sie den ganzen Tag an ihn gedacht hatte, war sie nicht im Geringsten dafür gewappnet, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.
Doch die Minuten krochen dahin, und es war keine Spur von ihm zu entdecken. Eliza zappelte nervös. Sie drehte sich um und verrenkte ihren Körper in kurioser Weise, um die Tür ihrer Loge im Auge behalten zu können. Über eine Stunde verstrich, bis Elizas Nerven schließlich völlig blank lagen.
Am Ende des zweiten Aktes brach das Publikum in stürmischen Beifall aus. Der Applaus erschreckte Eliza so, dass sie von ihrem Sitz fiel und unsanft auf dem Boden landete.
»Oh Eliza. Ist Kean nicht einfach wunderbar ? Was für ein begnadeter Schauspieler.« Grace streckte ohne hinzuschauen ihren Arm aus, um Eliza aufzuhelfen. Grace schwebte im siebten Himmel, war so hingerissen von
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