Stuermischer Zauber
sind gar nicht so barbarisch«, bemerkte Sir Ian Macleod trocken. Der Vorsteher der schottischen Wächter wurde bei den Familien der Herr der Inseln genannt.
»Vergebt mir, Sir Ian. Ich wollte Euch nicht beleidigen.« Gwynnes Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten. Das war kein Scherz. Sie beobachteten sie wie Katzen eine hilflose Maus. »Duncan Macrae ist ein mächtiger Magier. Eines Tages sitzt er vielleicht ebenfalls im Rat. Was kann ich schon dagegen tun, wenn er eine Gefahr für die Stabilität der Nation darstellt? Ihn ermorden, wenn er vom Weg abkommt?«
Bethany schnalzte mit der Zunge. »So etwas sagt man nicht mal im Scherz, Gwynne! Duncan ist talentiert, er besitzt Integrität und hegt tiefen Respekt für unsere Traditionen. Aber die Umstände können jeden von uns vom Wege abkommen lassen.«
»Es ist für einen Schotten schwer, dem Ruf der Freiheit zu widerstehen«, bemerkte Sir Ian. »Wenn ich nicht alt wäre und mich nicht allzu gut an den Aufstand von 1715 erinnern könnte, wäre ich auch versucht, für die Unabhängigkeit Schottlands zu kämpfen. Diese Vereinigungsgesetze …« Er schüttelte verdrießlich den Kopf. »Sie sind schmerzlich ungerecht.«
Seine Worte überraschten Gwynne, doch ermöglichten sie ihr auch einen tieferen Einblick, wie eine Rebellion der Jakobiten die Loyalität der schottischen Wächter zerreißen könnte. Wenn selbst Sir Ian versucht war, dem Sirenenruf der Freiheit zu folgen, war auch Duncan verletzlich.
»Erinnerst du dich, was ich dir letzte Nacht sagte?«, fragte Lady Bethany. »Ballister ist eine potenzielle Bedrohung, doch noch viel größer ist die Chance, dass er Gutes tut. Wir Wächter sind nur wenige Menschen, Gwynne – wir können es uns nicht leisten, einen der besten Männer aus deiner Generation zu verlieren. Wir denken, du wärst vielleicht in der Lage, ihn davon abzuhalten, Schaden anzurichten. Ihr zwei seid tief miteinander verbunden. Wenn du ihn heiratest, wirst du großen Einfluss auf sein Handeln haben.« Die Augen der älteren Frau blinzelten ihr zu. »Es ist nicht so, dass dich diese Heirat in unverminderten Kummer stürzen wird.«
Hugh Owens, ein entfernter Verwandter Gwynnes, machte eine Handbewegung, und eine kleine, silberne Waage erschien auf dem Tisch. Gwynne hielt den Atem an. Die Waage musste eine Illusion sein, kein greifbarer Gegenstand.
»Stellt Euch vor, diese Waage ist das heutige England«, sagte Owens. »Obwohl viele Mächte im Spiel sind, ist die Nation alles in allem sehr friedlich. Im Gleichgewicht. Dann stellt Euch vor, wie Ballister sein beträchtliches Gewicht in eine der Waagschalen wirft.«
Er schnippte mit dem Finger, und ein roter Funke erschien in einer Waagschale. Die Waage schlug heftig aus und brachte das gesamte Instrument zum Zittern. »Ihr und er habt eine schicksalhafte Beziehung, und das bedeutet, dass nur Ihr die Macht habt, um ihn im Gleichgewicht zu halten.« Mit einem erneuten Fingerschnippen leuchtete ein weiterer Funken in der zweiten Waagschale auf. Langsam pendelte die Waage sich wieder ins Gleichgewicht zurück.
Eine schicksalhafte Beziehung … Ein großes Schicksal … Fast hatte sie Emerys Worte über das Schicksal vergessen, die er an jenem Nachmittag ausgesprochen hatte, als er sie gebeten hatte, ihn zu heiraten. War es das, was er damals vorhergesehen hatte?
Sie versuchte, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. »Ihr bittet mich, alles und jeden, den ich liebe, zu verlassen und unter Fremden zu leben.«
»Glaube nicht, dass wir dich leichtfertig darum bitten.« Bethany seufzte. »Du stehst mir näher als meine eigenen Enkel, und ich habe gedacht, du würdest mir in meinen letzten Jahren Gesellschaft leisten. Aber offensichtlich soll es nicht so sein.«
Gwynne erschauderte, als sie an Ballisters Macht dachte. Jeder Verehrer mit so viel Magie würde sie vermutlich einschüchtern, doch Ballister war besonders Furcht erregend. »Ihr könnt mich nicht zwingen, ihn zu heiraten.«
»Nein, das können wir nicht«, sagte Lady Sterling kühl. »Wir bitten Euch darum, ohne Euch zu nötigen. Ja, es ist schwer, in ein anderes Land zu gehen und unter Fremden zu leben, doch das haben wir Frauen von alters her getan. Ihr seid zu jung, um Euch in der Spur des Gewohnten niederzulassen. Noch wichtiger ist, dass Ihr als Wächterin eine Pflicht habt. Auch wenn Ihr keine Magierin seid, habt Ihr mit Erreichen des Erwachsenenalters einen feierlichen Eid geleistet, zu dienen und zu beschützen. Ihr
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