Stürmisches Herz
Hältst du mich für verrückt, wenn ich dir verrate, daß sie stärker, oder vielleicht hartnäckiger ist als ich?«
»Wie bekommt sie Macht über dich?«
»Durch Tränen, gottverdammte Tränen.«
»Ach ja, ich kann mich sehr genau an die Macht der Tränen erinnern.«
Chandos wußte, daß Springender Wolf an seine tote Frau dachte. Obwohl Chandos immer noch darauf aus war, seine Rache zu vollziehen, versuchte er, das Geschehene zu vergessen. Springender Wolf hingegen hielt die Erinnerung bewußt wach. Sie war seine Nahrung, die ihn am Leben hielt. Erst wenn der letzte der fünfzehn Mörder tot war, würde der Alptraum für Chandos und Springender Wolf vorbei sein. Erst dann würde Chandos im Schlaf keine Todesschreie mehr hören und nicht mehr Springender Wolf vor sich sehen, wie er mit tränenüberströmtem Gesicht neben seiner toten Frau auf die Knie gesunken war und fassungslos seinen zwei Monate alten Sohn anstarrte, der mit durchschnittener Kehle neben ihr lag.
Manchmal wurde auch in Chandos die Erinnerung wieder so stark, daß er seine Umgebung vergaß und innerlich weinte wie an dem Tag, an dem er zurückgekehrt war und vor den hingeschlachteten Indianern stand. Dann sah er wieder seinen weinenden Stiefvater vor sich, der die blutbefleckten Beine seiner toten Frau zugedeckt und ihr die Augen zugedrückt hatte. Diese vor Entsetzen geweiteten schönen, blauen Augen seiner Mutter, der Frau mit den Himmelsaugen, wie sie genannt wurde.
Vielleicht würde er eines Tages imstande sein zu weinen. Dann würde er ihre Schreie nicht mehr hören, und sie konnte endlich in Frieden schlafen.
Aber er glaubte nicht, daß das Bild von Weißer Flügel jemals verblassen würde – seiner kleinen Halbschwester, die er innig geliebt und die ihn angebetet hatte. Wie dieses süße, liebevolle Kind hingeschlachtet worden war, hatte sich unauslöschlich in seine Seele eingebrannt- die gebrochenen Arme, die Spuren der Zähne, der verkrümmte, blutige Körper. Daß seine Mutter vergewaltigt worden war, konnte man vielleicht begreifen, weil sie eine schöne Frau gewesen war. Aber die Vergewaltigung von Weißer Flügel war ein unfaßbarer Greuel.
Von den fünfzehn weißen Mördern waren nur noch zwei am Leben. Springender Wolf und die fünf Krieger, die Chandos begleiteten, hatten innerhalb des ersten Jahres den größten Teil der Schuldigen aufgespürt und hingerichtet. Chandos' Stiefvater hatte die beiden Cottle-Brüder verfolgt und war später tot neben ihren Leichen gefunden worden. Erst als die Schweinehunde begonnen hatten, sich in den Städten zu verstecken, wo eine kleine Gruppe von Indianern nichts gegen sie unternehmen konnte, hatte Chandos sich die Haare schneiden lassen wie ein Weißer und seinen Revolver umgeschnallt, so daß er die Männer aus den Städten hinaustreiben konnte.
Die nur unter den Namen Tad und Carl bekannten Cowboys hatten die Stadt verlassen, als sie erfuhren, daß Chandos sie suchte, und waren Springender Wolf direkt in die Arme gelaufen. Später hatte sich Cincinnati – und danach auch Curly – Chandos gestellt. Beide waren tot.
Chandos hatte es vor allem auf Wade Smith abgesehen, der ihm immer wieder entging – genau wie Trask.
Bevor John Handley starb, hatte er noch mehr Informationen geliefert als der fette Farmer und hatte auch Namen genannt. Trask hatte die junge Frau von Springender Wolf getötet, und der Komantsche würde erst Ruhe finden, wenn Trask tot war. Genauso ging es Chandos mit Wade Smith, der Weißer Flügel gefoltert hatte, bevor er ihr den Hals durchschnitt.
So oft es möglich war, ritten die indianischen Freunde zusammen. Sie waren gemeinsam nach Arizona geritten, wo Chandos Curly fand. Sie hatten Texas mehr als einmal durchquert und waren bis nach Neu-Mexiko und sogar nach Nebraska gelangt. Chandos verließ seine Freunde nur, wenn sie sich Städten näherten. Sie waren auch bei dem letzten Ritt gemeinsam von Texas heraufgekommen, und Chandos wäre mit ihnen zurückgekehrt – wenn Courtney nicht gewesen wäre.
»Er war nicht in Newton«, berichtete Chandos leise.
»Und jetzt?«
»Ich habe gehört, daß Smith sich in Paris in Texas verkrochen hat.«
Eine kurze Pause trat ein.
»Und die Frau?«
»Sie reitet mit mir nach Texas.«
»Dann wirst du auf diesem Ritt auf unsere Gesellschaft verzichten.«
Chandos grinste. »Sie würde kein Verständnis dafür haben. Sie ist heute schon aus dem Häuschen geraten, als sie dich gesehen hat. Wenn auch noch die anderen
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