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Stumme Angst (German Edition)

Stumme Angst (German Edition)

Titel: Stumme Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Stein
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Bett neben ihr liegen würde. Vielleicht ließe sich so eine Lücke füllen und das Pochen würde erträglich werden. Doch Marie weiß es besser.
    Welcher Tag ist heute? Samstag.
    Es ist ihr egal, sie wird die Polizei trotzdem anrufen. Und Liam – Liam auch. Denn ansonsten würde wieder das Wochenende vergehen, vielleicht auch der Montag, der Dienstag, die Woche darauf. Die Tage würden vorbeiziehen, sie selbst am Fenster sitzen und auf den Innenhof starren. Dabei zusehen, wie die Kastanien fallen.
    Nein, Marie, nicht so! Und alles, alles musst du ja nicht sagen. Nur dass dir das mit dem Unfall eingefallen ist. Dass die Autos von Natans und Annas Eltern ineinanderknallten.
    Sie schaut auf die Uhr: halb zehn vorbei. Keine schlechte Zeit, um im Präsidium anzurufen.
    Sie wählt die Nummer, eine Rezeptionistin hebt ab. Um den Fall Anna Hansen würde es gehen, sagt sie. Ob sie einen der beiden zuständigen Kommissare sprechen könnte?
    Die Frau am anderen Ende der Leitung verneint, beide wären auf einem Einsatz. Doch sie würde sich ihren Namen und die Nummer notieren. Sie würden so bald wie möglich zurückrufen.
    Sie legt auf und eine große Leere bleibt zurück. Jetzt hat sie sich überwunden und es doch nicht hinter sich gebracht! Außerdem ärgert sie sich, weil sie nicht gefragt hat, wann mit einem Rückruf zu rechnen ist. In einer Stunde, in zwei, vielleicht erst am Montag? Muss sie jetzt den ganzen Tag zu Hause bleiben?
    Eigentlich wollte sie ihre Eltern besuchen, einen Ausritt machen. Ihr Pferd hat sie schon lange nicht gesehen, genausowenig wie die beiden Alten. Bei ihnen zu Hause könnte es schön sein, würden sie nicht immer so verknöchert am Tisch sitzen. Ihre Gesprächsthemen sind immer gleich: Erst werden sie nach ihrem Studium fragen, nach den Inhalten, den Lerngruppen. Und natürlich nach ihren Noten. Sie werden wissen wollen, was sie noch besser machen kann. Dann werden sie das Gespräch auf die Geschwister lenken. Auf ihre Apotheken, ihre Kanzleien, die Praxen. Zwischendurch wird sich die Kuckucksuhr an der Wand öffnen, der Vogel zu jeder vollen Stunde herausschauen. Danach wird die Stille wieder einsetzen, die Gabeln nach den letzten Kuchenkrümeln tasten.
    Marie fragt sich, warum sie ihre Eltern überhaupt noch besucht. Weil sie immer so drängeln, sie selbst auf andere Gedanken kommen will?
    Liam. Wann soll sie ihn anrufen? Wahrscheinlich wird er noch schlafen und versuchen, all das zu vergessen.
    Sie kehrt zurück ins Bett, beschließt, noch einmal die Augen zu schließen. Dort, wo sie sich rasiert hat, ist ihre Haut immer noch glatt, die Stoppeln kaum wahrnehmbar, kommen weich nach. Wie Gras, findet Marie. Das über eine Sache wächst.

Samstag, Tag 9, Liam

    E r steht auf der Straße, in der Nähe des Hauses. Dort, wo er gestern geparkt hat, sucht er nach Natans Auto.
    Was war es für eines gewesen? Ein rotes, das Modell alt. Ein Fiat, ein Peugeot? Wenn man sich nicht für Autos interessiert, kann man sich keine Marke merken.
    Er kann den Wagen nicht finden. Er läuft die Seitenstraßen ab, um sicherzugehen. Um zu überlegen, was er als Nächstes tun kann.
    Gibt es nicht bloß zwei Strategien?
    Die eine wäre, Natan zu stellen. Ihm eines der Fotos unter die Nase zu halten und zu fragen: Was soll das, du Arschloch?
    Aber das alleine durchzuziehen, wäre Irrsinn. Er denkt daran, Felix anzurufen und ihn zu bitten, zu Natans Haus zu kommen. Doch Felix ist in Berlin an diesem Wochenende, macht eine Städtereise mit seiner Freundin.
    Und ansonsten – wen kann er fragen in dieser Stadt? Torben fällt ihm ein, der Hüne. Einer, der alles plattwalzen würde. Oder Marie, die mit Handtasche und Sommerhut dastehen würde.
    Die zweite Strategie: unter einem Vorwand zu klingeln. Natan zu fragen, ob er sein Handy gefunden hätte, er hätte es gestern irgendwo verloren. Ob ihm noch was eingefallen wäre wegen Anna.
    Der Hund steht still, genau wie er. Vielleicht wäre es doch sinnvoll zu warten. Bis der junge Kommissar endlich bei ihm vorbeikommt. Aber wie lange wird das dauern?
    Heute Nachmittag hat er gesagt. Vier Stunden sind es bis dahin, fünf, vielleicht sechs. Im Radio hört er Berichte über das verschwundene Kind. Der Täter, sagen sie, sei gefasst, aber der Aufenthaltsort des Mädchens unklar. Ob sie noch lebt, wisse man nicht, aber anscheinend gäbe es Hinweise auf eine Verletzung.
    Und Anna. Ob sie noch lebt? Natürlich, er könnte die Bullen noch mal anrufen. Ihnen sagen: Ich weiß , wo Anna

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