Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
würde.
    Sie hoffte, dass Mr Rawlins nach seiner Rückkehr einen
Plan parat hatte, sie und ihren Bruder nach Hause zu bringen, dorthin, wo ihr Platz war. Wenn er auch Zweifel an ihrer Geschichte hatte, schien er doch auf ihrer Seite zu stehen. War vorstellbar, dass er sich gegen sie stellte, wie Mr Swann? Vielleicht, aber plausibel kam ihr der Gedanke nicht vor. Er schien ihnen zu glauben, auch wenn es seine Zeit brauchte. Und er schien sie zu mögen. Annie hatte bemerkt, wie er sie mit einem sanften, traurigen Blick anschaute. Als würde er sie sehen, aber an jemand anders denken. Sie glaubte, dass sie und William ihm trauen konnten. Außerdem gab es im Moment für sie ohnehin keine andere Zuflucht.
    »Hey, Annie, schau dir das an!«, rief William erneut aus dem Wohnzimmer.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?« William stand vor einem geöffneten Schrank aus dunklem Holz.
    »Unglaublich.« Er trat einen Schritt zur Seite, damit sie in den Schrank blicken konnte.
    Gewehre und Schrotflinten, insgesamt sieben, ordentlich nebeneinander. Neben den Kolben Schachteln mit Munition. William griff nach einem der Gewehre, aber Annie hielt ihn zurück.
    »Finger weg«, sagte sie.
    »Waffen sind cool. Warum hat er so viele?«
    »Er ist Rancher. Die haben immer viele Gewehre.«
    »Ja, für Bären und so weiter«, sagte er mit weit aufgerissenen Augen. »Glaubst du, er zeigt mir, wie die Dinger funktionieren?«
    Sie zuckte die Achseln. »Du kannst ihn ja fragen.« Sie hoffte, das Mr Rawlins die Waffen gesichert hatte. Williams Faszination war unübersehbar, und sie fürchtete, er könnte
mit den Gewehren herumspielen, wenn er glaubte, dass ihm keine Strafe drohte.
    »Ich könnte uns beschützen«, erklärte er ernst. »Dann sind wir in Sicherheit, wenn er das nächste Mal in die Stadt fährt.«
    Sie wollte den Schrank schließen.
    »Nein«, sagte er. »Sieh dir das Ding an.«
    Bevor sie einschreiten konnte, zog er ein Gewehr mit einem Ladehebel heraus. Es war offensichtlich alt, mit einem silbernen Lauf und einem zerkratzten Kolben.
    »Könnte von einem Cowboy stammen, das Gewehr«, sagte er. »Ist schwerer, als ich gedacht habe. Was heißt das hier?«
    In den Lauf war etwas eingraviert. Annie las vor: »Manufactured by the Winchester Repeating Arms Company. New Haven, Conn.«
    »Con?«
    »Connecticut. Patented August 21, 1884. Nickel Steel Barrel. Twenty-five-35 WCF. Keine Ahnung, was das bedeuten soll.«
    »Ist das Ding zu alt, um damit zu schießen?«
    »Was weiß ich. Stell es weg.«
    »Annie …«
    »Wegstellen, sofort.«
    Er gehorchte, ließ sich aber Zeit. »Gib’s zu, das ist eine coole alte Knarre.«
    Sie schloss den Waffenschrank.
    »Da ist noch was«, sagte William, der zu dem alten Schreibtisch hinüberging. »Mal sehen, was du dazu sagst.«
    »Du sollst nicht rumschnüffeln.«

    »Hast du bei Mr Swann nicht geschnüffelt?«
    Er zog eine Schublade auf. Darin lag das gerahmte Foto eines sehr viel jüngeren Mr Rawlins, der eine Armeeuniform und eine Schirmmütze trug. Er schaute direkt in die Kamera, als wollte er selbstbewusst demonstrieren, wie wichtig seine Aufgabe war. Daneben lagen Kästchen mit Orden.
    William öffnete eines. »Mr Rawlins war Scharfschütze.« Er zeigte Annie den Orden. »Hier haben wir einen Silver Star. Und noch ein paar andere, aber darauf kann ich mir keinen Reim machen.«
    Annie strich mit den Fingerspitzen über den Orden.
    »Vielleicht ist er cooler, als wir gedacht haben«, sagte William.
    »Wo hat er sich die wohl verdient?«
    »Wir müssen ihn fragen«, sagte William. »Ich wette, er hat ein paar klasse Storys auf Lager.«
    Als sie von draußen ein Auto hörten, blickten sie sich an, legten hektisch die Kästchen mit den Orden zurück und schlossen die Schublade.
    William ging zum Fenster und zog die Vorhänge ein Stück auseinander, bevor sie ihn davon abhalten konnte.
    »Da kommt jemand die Straße runter. Ich glaube nicht, dass es Mr Rawlins ist.«
     
    Sie versteckten sich unter dem Schreibtisch, die Arme um die Knie schlingend.
    »Wer könnte das sein?«, fragte William.
    »Konntest du was sehen?«
    »Nur einen schwarzen Pick-up.«

    »Wie viele Leute saßen drin?«
    »Keine Ahnung.«
    »Ich wollte, du hättest die Vorhänge nicht zurückgezogen.«
    »Sie konnten mich nicht sehen.«
    »Woher willst du das wissen? Beim nächsten Mal schaust du nur durch den Schlitz zwischen den Vorhängen, okay?«
    William schien widersprechen zu wollen, überlegte es sich aber anders. »Okay.«
    Das

Weitere Kostenlose Bücher