Stumme Zeugen
Mann auf der Veranda nicht. Er wirkte wütend, wie ein Cowboy oder Revolverheld.
»Was können wir für Sie tun?«, erkundigte sich Swann.
»Sind Sie Monica Taylor?«, fragte der Mann laut, Swann völlig ignorierend. Hinter ihm prasselte monoton und laut der Regen nieder.
Instinktiv wusste sie, dass er wegen ihrer Kinder hier war, und sie nickte.
»Dann müssen Sie Swann sein«, sagte der Mann, der hinter seinem Rücken ein Gewehr hervorzog und in das Zimmer trat. Bevor Swann nach der in seinem Gürtel steckenden Pistole greifen konnte, traf ihn schon der Gewehrkolben ins Gesicht. Er taumelte zurück, mit blutender Nase, vergeblich versuchend, sich irgendwo festzuhalten. Seine Füße verhedderten sich an einem Regal, und er knallte gegen die Wand und rutschte an ihr herunter, wobei ein gerahmtes Foto von Annie zu Bruch ging. Sein Ellbogen landete auf der Lehne des Sofas und bremste seinen Fall. Der Mann setzte sich auf Swann, holte zu Monicas Entsetzen erneut aus und verpasste ihm einen harten Schlag gegen den Kopf. Swanns Körper wurde schlaff, purzelte vom Sofa und schob es durch sein Gewicht zur Seite. Monica sah nur noch seine Schuhsohlen.
Der Mann hob Swanns Pistole auf und schob sie in die Vordertasche seiner Jeans. Dann blickte er auf und atmete tief durch.
Monica hatte einen Schrei unterdrückt, sich aber tiefer in den Sessel gedrückt und erschrocken die Hände an den Mund gehoben.
Der Mann wies mit einer Kopfbewegung in Swanns Richtung.
»Er wird’s überleben.« Dann blickte er Monica an. »Ich heiße Jess Rawlins und bin hier, um Sie zu Ihren Kindern zu bringen.«
Als sie den Namen hörte, war ihre Kehle wie zugeschnürt. Jess Rawlins. Vom Hörensagen kannte sie diesen Mann schon lange. Jetzt stand er in ihrem Wohnzimmer und wollte sie retten.
Sonntag, 20.21 Uhr
Jim Hearne fühlte Panik in sich aufsteigen. Der Regen hatte sich in Nebel verwandelt, der dicht über den Straßen hing, und die Reifen seines Autos wühlten sich durch tiefe Pfützen. Etwas stimmte nicht in seiner Stadt an diesem Sonntagabend, doch bisher hatte er nicht herausgefunden, um was es dabei ging und wie viele Menschen beteiligt waren. Wie zuvor in seinem Wohnzimmer, wo er sich plötzlich als Fremder im eigenen Haus gefühlt hatte, kam er sich jetzt auch in seiner Stadt als Fremder vor, trotz der vertrauten Straßen und Gebäude.
Auf dem Parkplatz vor dem Büro des Sheriffs stellte er seinen Suburban neben Careys Blazer ab. Er war dankbar, dass der Sheriff da zu sein schien, denn er hatte zuvor schon vergeblich nach zwei anderen Männern gesucht. Nach Lieutenant Singer, der weder in der Einsatzzentrale der Task Force noch in seinem Haus zu finden war, und nach Eduardo Villatoro, der seit dem späten Nachmittag nicht mehr im Hotel gewesen war.
Hearne stieg aus dem Auto und versuchte, sich zu beruhigen, indem er tief die feuchte Luft einsog. Er schaute auf die Uhr. Trotz seiner hektischen Betriebsamkeit hatte er nichts erreicht. Alles schien da zu passieren, wo er gerade nicht war, und er hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte. Doch jetzt hoffte er, am richtigen Ort zu sein. Auf dem Parkplatz standen drei Übertragungswagen von Fernsehsendern, und er sah Reporter und Techniker, die offenbar gerade erst eingetroffen waren. Auf dem Asphalt waren dicke Kabel ausgerollt worden. Im Licht der grellen Scheinwerfer erkannte er einen prominenten Fernsehmoderator, der sehr viel kleiner, dünner und gebrechlicher wirkte als auf der Mattscheibe. Er schien darauf zu warten, über seinen kleinen Knopf im Ohr Anweisungen zu bekommen. Als Hearne die Übertragungswagen und die vielen Medienvertreter sah, wurde ihm angst und bange um Kootenai Bay.
Er ging zur Hinterseite des Gebäudes, wo sich das Büro des Einsatzleiters befand. Die Tür stand offen, wie erwartet, aber die Assistentin, eine untersetzte Frau mit leuchtend rotem Haar, blickte ihn misstrauisch durch dicke Brillengläser an. Offenbar war sie nicht an normale Bürger als Besucher gewöhnt, und im Gegensatz zu den meisten Einwohnern von Kootenai Bay wusste sie nicht, wen sie vor sich hatte.
»Ist der Sheriff da?«, fragte er. »Ich habe sein Auto auf dem Parkplatz gesehen.«
»Ja, aber vermutlich nicht mehr lange.« Ihre Augenlider flatterten wie verrückt hinter den Brillengläsern. »Meiner Meinung nach wird er gleich nach Hause fahren. Hat Ihr Anliegen nicht bis morgen Zeit?«
»Glauben Sie, ich wäre an einem Sonntagabend hier, wenn es nicht dringend wäre?«,
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