Stumme Zeugen
unbedingt.
»Sie ist eine schöne Frau. Sehr temperamentvoll.«
Jess war konsterniert. »Was willst du damit sagen? Wie hast du sie kennengelernt?«
»An einige Dinge erinnere ich mich, als wären sie gestern geschehen. Zum Beispiel an Monica.«
Jess hatte weitere Fragen, wollte aber nicht, dass J. J. sich in ein Thema verbiss, das im Moment zweitrangig war. Man konnte nicht wissen, wie lange er geistig klar war, und er musste zur Sache kommen.
»Zurück zu diesen Excops. Warum hast du nicht mit dem Sheriff geredet?«
»Er würde mir nicht glauben, und ich möchte keinen Ärger bekommen. Mir gefällt dieser Job. Ich kann nicht in meiner Zelle bleiben. Sie ist dreckig und ekelhaft, überall Bazillen. Ich muss mich draußen aufhalten, weit weg von den Albträumen …« Er wandte den Blick ab.
»Du kannst bei mir bleiben«, sagte Jess sanft. »Ich weiß, dass du das Gefängnis jederzeit verlassen kannst. Du hast deine Zeit abgesessen. Du kannst durch das Tor spazieren, wann immer es dir gefällt.«
»Ich brauche meine Medikamente, Dad.«
Dad. Er hatte ihn tatsächlich Dad genannt. Jess war tief bewegt. »Komm mit mir«, sagte er plötzlich. »Komm, wir verschwinden von hier.«
»Wirklich?«
»Wirklich.«
Ein schüchternes Lächeln. »Ich möchte die Ranch wiedersehen. Und Mom.«
Es war nicht der richtige Zeitpunkt für Erklärungen. Noch nicht. Im Augenblick wollte er J. J. nur von hier wegbringen. Angesichts dessen, was er wusste, konnten ihm nicht nur die Excops, sondern vielleicht auch der Sheriff gefährlich werden. Seinem Sohn war das nicht bewusst, und er durfte nicht zulassen, dass es so weit kam. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, und zugleich wurde er von seinen Emotionen übermannt.
Dies war seit über zehn Jahren das erste wirkliche Gespräch mit seinem Sohn. Er war erleichtert, fragte sich aber zugleich, ob J. J. nicht schon lange darauf wartete, dass er ihn zu sich holte. Und er hatte es aus Nachlässigkeit nicht versucht. Er ging zur Tür und zog sie auf. »Komm mit, J. J.«, sagte er sanft.
Der Körper seines Sohnes versteifte sich, und er wirkte auf einmal größer. Seine Hände schienen sich in Klauen zu verwandeln. »Nein.«
»Was soll das heißen?«
»Ich kann nicht nach draußen gehen. Es ist zu dreckig.«
»Es regnet.« Jess hoffte, dass diese Antwort seinem Sohn plausibler erschien als ihm selbst.
»Nein!«, schrie J. J., der wie ein Fünfjähriger mit dem Fuß aufstampfte. »Nein, Dad! Ich kann nicht.«
Jess stand an der Tür und spürte einen Stich ins Herz. J. J. war zurückgegangen, hatte sein Tuch aufgehoben und bearbeitete fieberhaft eine Schreibtischplatte, wobei ein Stapel Papiere zu Boden fiel.
»Verdammt!« Er wollte die Papiere aufheben, aber sie glitten ihm immer wieder aus den Fingern.
»Ich komme wieder, um dich zu holen«, sagte Jess. »Du hast mir wirklich sehr geholfen. Es war schön, dass du mit mir geredet hast. Aber erzähl sonst keinem, worüber wir gesprochen haben, okay? Bitte.«
J. J. versuchte immer noch hektisch, die Blätter vom Boden aufzuklauben.
»Du fehlst mir, mein Sohn.«
J. J. blickte nicht auf. Er war wieder weggetreten. »Verdammter Mist!«, schrie er.
Jess trat in den strömenden Regen hinaus. An seinem Pick-up drehte er sich noch einmal um. J. J. klaubte immer noch Papiere auf und ließ sie wieder fallen, wie ein Besessener.
Sonntag, 19.16 Uhr
Als sie die Türklingel hörte, blickte Monica auf. Swann lag auf dem Sofa und rappelte sich hoch. Er hatte gerade wieder eines seiner mysteriösen Telefonate geführt. Sie glaubte verstanden zu haben, er müsse an diesem Abend noch mal zu seinem Haus fahren, aber er schien keine Lust zu haben.
Seit er ihr hämisch die Autoschlüssel gezeigt hatte, waren keine Worte mehr zwischen ihnen gewechselt worden. Sie wartete nur noch den richtigen Moment ab. Sobald er das Zimmer verließ, würde sie aus dem Haus stürmen. Sie konnte sich von einem Nachbarn ein Auto leihen oder sich von jemandem mitnehmen lassen. Bis dahin sollte er glauben, er hätte ihr die Idee ausgeredet. Also saß sie still da und wiegte ihn in dem Glauben, sie habe sich eines Besseren belehren lassen.
»Erwartest du jemanden?«, fragte Swann, als er zur Haustür ging.
»Natürlich nicht.« Ihre einzige Hoffnung war, dass sie vielleicht positive Neuigkeiten über Annie und William hören würde.
Swann spähte durch den Spion. »Irgendein Mann«, sagte er, bevor er die Tür öffnete.
Monica kannte den vom Regen durchnässten
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