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Stumme Zeugen

Titel: Stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
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tun?«, hörte er Gonzales fragen.
    »Erledige du es.« Newkirks Stimme klang, als bekäme er kaum ein Wort heraus.
    »Du hättest nie herkommen sollen, Opa«, sagte Gonzales. »Diese Geschichte ist eine Nummer zu groß für dich. Scheiße, du bist doch im Ruhestand, oder? Was ist in dich gefahren?«
    Villatoro blickte auf und sah dicht vor seinem Gesicht einen silbernen Ring in der Dunkelheit schimmern. Die Mündung der Pistole. Er überlegte, ob er um sich schlagen oder zu flüchten versuchen sollte. Aber er war noch nie eine Kämpfernatur gewesen. Die beiden Schlägereien, in die er in seiner Jugend verwickelt gewesen war, hatten ein übles Ende genommen. Er lag am Boden, Schläge prasselten auf ihn ein, man spuckte auf ihn. Seinem Charakter entsprach es, der Vernunft Vorrang vor der Gewalt einzuräumen. In seinen dreißig Dienstjahren bei der Polizei war er nie angegriffen worden oder gezwungen gewesen, seine Waffe zu ziehen. Oh, dachte er, wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich lernen, wie man kämpft! Dann kam ihm ein seltsamer Gedanke. Halte ich die Augen offen, oder schließe ich sie? Heiße Tränen brannten in ihnen, und er wischte sie verärgert weg.
    »Ach, Scheiße«, sagte Gonzales, der die Pistole sinken ließ. »Du hast den Job übernommen, jetzt musst du ihn auch zu Ende bringen. So wollte Singer es doch, oder?«

    »Ich denke schon.«
    »Dann tu’s.«
    Villatoro spürte, dass sich ihm der Magen umdrehte, und hoffte, sich nicht übergeben zu müssen.
    »Kümmer dich um ihn.« Gonzales drehte sich um und ging in Richtung Haus. »Um diesen Möchtegern-Cop.« Er lachte leise. Villatoro war wütend und fühlte sich gedemütigt. Aber in erster Linie hatte er Angst.
    Er spürte Newkirks Pistole in seinem Genick.
    »Gehen Sie zum Ende des Pferchs, immer am Zaun entlang«, sagte Newkirk mit matter Stimme. »Und drehen Sie sich nicht zu mir um.«
    Er will mir die Kugel in den Hinterkopf jagen. Besser als ins Gesicht.
    Während er vorwärtstaumelte, nahm er aus dem Augenwinkel ein riesiges Schwein wahr, das auf der anderen Seite des Zauns neben ihm her trottete und bei jedem Atemzug leise grunzte.
    Sein Schuh blieb an einer Wurzel hängen, und er wäre fast gestolpert, aber Newkirk packte seinen Hemdkragen und hielt ihn fest. »Verdammt, passen Sie auf, wo Sie hintreten.«
    »Sorry.«
    »Klappe halten!«
    Newkirk hielt seinen Kragen fest und stieß ihn vor sich her, bis sie am Ende des Pferchs unter tropfenden Bäumen standen. Villatoro hörte Tannennadeln unter seinen Schuhsohlen knirschen.
    Jetzt muss es jeden Augenblick passieren. Das Blut in seinen Ohren rauschte so laut, dass er das von den Zweigen
tropfende Regenwasser kaum noch hörte. Doch da war noch etwas …
    »Eine falsche Bewegung, und Sie bezahlen mit einer Kugel in den Hinterkopf, Mister.«
    Das war nicht Newkirks Stimme, sondern eine aus dem Wald, aus der Finsternis. Sie war tief und kam Villatoro bekannt vor, ohne dass er sie einer bestimmten Person zuordnen konnte. Für einen Augenblick glaubte er, seine Einbildungskraft hätte ihm einen Streich gespielt, um ihm eine trügerische, kurze Hoffnung zu bescheren.
    Aber er spürte die Mündung der Pistole an seinem Hals zucken. Dann fragte Newkirk: »Wer ist da?«
    Ein anderes Geräusch, das Schnauben eines Pferdes, irgendwo zwischen den Bäumen.
    »Der Mann, der Ihnen gleich das Gehirn aus dem Schädel bläst.«
    Villatoro bemerkte, dass Newkirk seinen Kragen fester packte, aber er spürte nicht mehr die Mündung der Pistole. Es war wirklich noch jemand hier. Und die Stimme gehörte dem Rancher, mit dem er sich beim Frühstück unterhalten hatte. Rawlins.
    Da war der Druck der Waffe wieder, diesmal an der Schläfe.
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind«, rief Newkirk. »Aber wenn Sie nicht sofort verschwinden, ist er ein toter Mann.«
    »Wie’s aussieht, ist er sowieso ein toter Mann. Drücken Sie ab. Dann haben wir zwei Tote. So einfach ist das.«
    Villatoro wollte in die Richtung blicken, aus der die Stimme kam, doch die Waffe an seiner Schläfe verhinderte jede Bewegung. Er rechnete mit der tödlichen Kugel, dem
Lärm, dem Mündungsfeuer. Aber Newkirk unternahm nichts.
    »Wer sind Sie?«, fragte er mit schwacher Stimme.
    »Wissen Sie was?«, fragte der Mann aus dem Dunkel. »Wir tun einfach so, als wäre nichts passiert. Sie lassen ihn los, ich lasse Sie laufen.«
    Villatoro glaubte fast zu spüren, wie Newkirks Gehirn fieberhaft arbeitete, wie er die Risiken einzuschätzen

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