Stumme Zeugen
Oberkörper. »Eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Freunden, Lieutenant. Die Gemüter waren etwas erhitzt, aber jetzt haben wir uns wieder abgekühlt. Stimmt’s, Newkirk?«
Newkirk schlug die Augen zu Boden, weil er Singers Blick nicht ertrug. »So ist es.«
Singer schaute zwischen den beiden hin und her, und es war unmöglich, seine Gedanken zu erraten.
»Okay, lasst uns reingehen.« Singer machte auf dem Absatz kehrt und trat ins Haus.
Kurz darauf saßen sie am Küchentisch. Swann war übel zugerichtet. »Nase, Wangenknochen, Unterkiefer, alles gebrochen«, sagte Singer. »Irgendjemand hat ihn richtig in die Mangel genommen und ist dann mit Monica Taylor verschwunden.«
»Scheiße!«, fluchte Gonzales.
Newkirk glaubte zu wissen, wer es gewesen war.
»Der Sheriff ist in Panik«, fuhr Singer mit so ruhiger Stimme fort, als würde er eine Gutenachtgeschichte erzählen. »Er übergibt den Fall dem FBI, ich habe vergeblich versucht, es ihm auszureden. Carey glaubt, es mit einer zweifachen Kindesentführung zu tun zu haben. Die Jungs vom FBI treffen morgen früh in einem Helikopter ein.«
Newkirk versuchte, sich auf Singers Worte zu konzentrieren und sie im Zusammenhang zu sehen.
Gonzales blickte Swann an. »Wer hat dich so zugerichtet?«
Die Schwellungen in Swanns Gesicht waren etwas zurückgegangen, aber er hatte immer noch Probleme mit dem Sprechen. »Ein großer dürrer Mann, so zwischen sechzig und fünfundsechzig, mit einem Cowboyhut. Und einem altmodischen Gewehr, mit dem er mich bearbeitet hat.«
Newkirk dachte nach. Ja, das könnte er sein.
»Aber warum hat er die Frau mitgenommen?«, fragte er.
Singer quittierte die Frage mit einem durchbohrenden Blick. »Ich weiß es nicht, habe aber eine ziemlich plausible Vermutung. Hast du getrunken, Newkirk?«
Newkirk spürte, dass er errötete. »Ein bisschen.«
»Bist du einsatzbereit?«
»Ja«, antwortete Newkirk mit belegter Stimme.
»Er kommt schon klar«, sagte Gonzales, darum bemüht, die Wogen zu glätten. »Wenn wir wollen, dass er einem alten Cowboy in den Hintern schießt, wird er es schaffen.«
Wieder blickte Singer zwischen Gonzales und Newkirk hin und her, studierte ihre Mienen, versuchte ihre Gedanken zu ergründen.
»Erinnert ihr euch an Fiona Pritzle?«, fragte er dann, ohne eine Antwort abzuwarten. »Das ist die Frau, die die Taylor-Kinder zum Fluss mitgenommen hat. Sie ist eine Klatschbase, die ihre Nase in alles steckt, das sie nichts angeht. Heute Abend tauchte sie im Haus des Sheriffs auf, und sie hatte eine interessante Geschichte zu erzählen. Sie behauptet, im Supermarkt einen Rancher gesehen zu haben, der Lebensmittel kaufte, auf die nur Kinder scharf sind. Dieser Rancher hat aber keine kleinen Kinder. Ihren Worten nach lebt er hier in der Gegend, etwa zwölf Kilometer von dem Campingplatz am Sand Creek entfernt. Der Sheriff kennt den Mann, unseren Cowboy. Er heißt Rawlins, Jess Rawlins. Pritzle glaubt, er könnte die Kinder in seiner Gewalt haben, sie hält ihn für einen Pädophilen. Der Sheriff wollte nichts davon wissen, aber ich bin sicher, dass er dem FBI von diesem Rawlins erzählt.«
»Rawlins.« Gonzales ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Mit dem Arschloch hatte ich heute eine kleine Auseinandersetzung. Er hat sich geweigert, mich ohne Durchsuchungsbescheid seine Gebäude unter die Lupe nehmen
zu lassen. Ich hätte nichts dagegen, ihn wiederzusehen. Wir haben noch eine Rechnung offen.«
Newkirk sagte nichts.
Singer saß einen Moment reglos da und starrte nachdenklich ins Leere. Wahrscheinlich legte er sich einen Plan zurecht.
»Er hat die Kinder bei sich«, sagte er schließlich. »Und ihre Mutter.« Er schwieg kurz, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Dann fuhr er in einem sachlichen, aber eiskalten Ton fort. »Wir müssen zu ihm fahren, bevor das FBI da ist, und eine Schießerei provozieren. Der Rancher kommt dabei ums Leben, genau wie die Taylors. Später wird man alles diesem Rawlins anhängen - Entführung, Sexualverbrechen, Mord. Wir erschießen die Kinder mit Rawlins’ Waffe.«
»Mein Gott«, flüsterte Gonzales.
Selbst wenn er gewollt hätte, Newkirk hätte kein Wort herausgebracht. Er war zu sehr damit beschäftigt, den Brechreiz unter Kontrolle zu bekommen.
»Was machen wir im Fall einer Geiselkrise?«, fragte Singer.
Schweigen.
Singer haute so hart mit der Faust auf den Küchentisch, dass das Geschirr in den Schränken klapperte. »Was machen wir im Fall einer
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