Stumme Zeugen
Hals und den Schläfen traten hervor. Aus dem Augenwinkel sah sie den Messerblock auf der Anrichte neben ihrer Hand.
»Im Bett bist du gut, Monica«, sagte er. »Nicht erstklassig, aber gut. Du hast einen hübschen Mund. Aber du wirst es nie schaffen, einen Mann zu halten, solange die kleine Schlampe da ist. Und dieses Muttersöhnchen.«
Sie fühlte sich, als hätte sie eines der Messer gepackt und es sich in die Brust gestoßen. Sie schnappte nach Luft. »Du sollst abhauen!«, schrie sie hysterisch.
Er verschwand kopfschüttelnd und knallte die Tür hinter sich zu.
Schluchzend vergrub sie das Gesicht in den Händen und verfluchte ihn. Sie war total verängstigt, weil sie nicht wusste, wo ihre Kinder waren, und weil sie sich furchtbar allein fühlte.
Sie wusste nur eines: Es war ihre Schuld, dass Annie und William verschwunden waren.
Freitag, 18.15 Uhr
Als sie sich Mr Swanns inmitten von Bäumen stehendem Haus näherten, fiel Annie zuerst ein strenger Geruch auf, der sich mit dem Duft des Kiefernharzes vermischte und immer intensiver wurde. Nachdem Mr Swann auf seine private Zufahrtsstraße eingebogen war, hatte er ihnen erlaubt, wieder auf die Sitze zu klettern, und deshalb sah Annie nun, dass der Geruch auf Schweine zurückging.
»Meine Familie«, sagte Mr Swann lächelnd. »Sie wissen, dass Daddy nach Hause kommt.«
William beugte sich neugierig zu dem offenen Seitenfenster
hinüber. »Sieh dir die Viecher an«, sagte er. »Mann, sind die aufgeregt.«
Als die Tiere den roten Pick-up sahen, begannen sie, zu quieken und in dem schlammigen, mit Pfützen mit lehmfarbenem Wasser übersäten Pferch hin und her zu rennen. Annie zählte mindestens zwanzig Schweine, vielleicht waren es noch mehr. Eines der Borstenviecher war so groß, wie sie es kaum für möglich gehalten hätte.
»Der dicke Brocken heißt King«, sagte Swann augenzwinkernd, als müssten die Kinder wissen, wer King war. »Ich habe ihn nach einem Typ benannt, der uns mal jede Menge Ärger gemacht hat. Mein King hat bei der Landwirtschaftsmesse im Sommer ein blaues Band gewonnen.«
»Das Schwein ist ein Monster«, sagte William. »Ich wette, es wird nie satt.«
Mittlerweile zitterte Annie nicht mehr, aber sie fühlte sich noch immer benommen und konnte nicht fassen, was sie und William auf dem Campingplatz gesehen hatten. War es denkbar, dass der Mann noch lebte? Nein, die anderen hatten immer wieder abgedrückt. Diese Bilder würden sie nie mehr verlassen. Noch jetzt verkrampfte sich alles in ihr, wenn sie an den Blick des Fahrers dachte.
»Alles in Ordnung?«, fragte William, als er sah, dass sie erneut zu zittern begann.
»Ja«, sagte sie geistesabwesend. Sie fand die Schweine nicht halb so aufregend wie ihr Bruder. Wie konnte er sich dafür interessieren, nach allem, was sie erlebt hatten? Aber Jungs waren eben anders. Sogar William.
Swann drückte auf eine Fernbedienung, eines der drei Garagentore öffnete sich, und er manövrierte den Pick-up langsam
hinein. »Bleibt noch einen Moment sitzen«, sagte er, als Annie die Tür bereits geöffnet hatte.
Sie warteten, während er das Garagentor schloss und dann durch das kleine Sichtfenster schaute. Offenbar wollte er sehen, ob ihnen jemand gefolgt war. »Okay, ihr könnt jetzt aussteigen«, sagte er beruhigt.
Swanns Haus war groß, hell und sauber und, wie Annie fand, ganz anders als das ihrer Mutter. Er lebte allein, abgesehen von seiner Schweinefamilie, und außer der Küche und dem Wohnzimmer wirkte das Haus unbewohnt. Über dem Kamin sah sie Fotos, die Swann in Polizeiuniform zeigten, daneben hingen Medaillen und Bänder. Ansonsten waren die Wände kahl.
Swann riss eine Tüte mit Plätzchen auf und stellte zwei große Gläser mit Milch auf den Tisch. »Ich bin nicht daran gewöhnt, Gesellschaft zu haben«, sagte er.
Annie fragte sich, ob ihre Mutter in diesem Haus gewesen war, als sich damals eine Beziehung zwischen ihr und Swann anzubahnen schien.
»Ihr wartet hier, ich muss telefonieren«, sagte er. »Lasst es euch schmecken. Die Milch steht im Kühlschrank, wenn ihr mehr wollt.«
»Rufen Sie unsere Mutter an?«, fragte Annie, während William drei Plätzchen aus der Tüte fischte.
Swanns Miene wurde ernst. »Noch nicht. Falls diese Männer herausfinden, wer ihr seid, was ihnen sehr schnell gelingen könnte, werden sie zuerst bei euch zu Hause aufkreuzen. Wenn eure Mutter weiß, dass ihr hier seid, würde sie es ihnen wahrscheinlich erzählen. Oder sie würden sie
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