Stumme Zeugen
ist
ein Kumpel von ihnen. Sie sind auf dem Weg hierher und wollen uns finden, weil wir den Mord beobachtet haben. Wir können niemandem mehr vertrauen, kapiert?«
Er wandte den Blick ab. »Ich will nur nach Hause«, sagte er in einem hilflosen Tonfall, der ihr einen Stich ins Herz gab.
»Das geht jetzt nicht. Da werden sie zuerst nach uns suchen. In diesem Punkt hat Mr Swann uns ausnahmsweise nicht angelogen.«
»Wohin sollen wir dann?«
Annie schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. »So weit weg von hier wie möglich«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Freitag, 22.30 Uhr
»Okay«, sagte Exlieutenant Eric Singer zu Dennis Gonzales und Jim Newkirk, die mit ihm an einem Tisch im hinteren Teil der Sand Creek Bar saßen. »Wenigstens wissen wir jetzt, wie sie heißen.«
Annie und William Taylor. Newkirk wäre es lieber gewesen, die Namen nicht zu kennen, denn dadurch bekam alles so etwas wie einen persönlichen Aspekt.
Die Sand Creek Bar war eine heruntergekommene, düstere und enge Kaschemme, etwas außerhalb von Kootenai Bay gelegen, am Rand des alten Highways. Früher war sie nach Feierabend von Holzfällern und Arbeitern aus den Silberminen besucht worden. Die Kneipe hatte bessere Tage
gesehen und war ein Überbleibsel einer vergangenen Epoche. Jetzt standen nur wenige Fahrzeuge auf dem mit Kies bestreuten Parkplatz vor der Tür, zwei Pick-ups und ein Lieferwagen von UPS. Für Singer, Gonzales und Newkirk war die Sand Creek Bar ein guter Treffpunkt. Es gab drei Biersorten vom Fass - Coors, Budweiser und Widmer Hefeweizen. Alles andere wurde als exotisch betrachtet und in verstaubten Flaschen aus dem Lagerraum serviert. In der vom Tabakqualm nachgedunkelten, holzgetäfelten Decke steckten Hunderte von Messern aller Art, die sich, von Gästen geworfen, im Lauf von siebzig Jahren angesammelt hatten, sogar ein paar rostige Bajonette und eine Axt. Gelegentlich fiel ein Messer herunter und blieb in einer Tischplatte, im Boden oder im Oberschenkel eines Zechers stecken. »Möglichst viel und schnell trinken, bevor man an einem Messerstich stirbt«, hatten Freunde aus der Gegend Newkirk erzählt, das sei in der Sand Creek Bar die beste Maxime, und womöglich hatte sie früher angesichts der rauen Sitten in den Arbeiterkreisen von North Idaho generell gegolten. Newkirk war schon einige Male mit Spielern aus seinem Softball-Team hier gewesen, aber für Singer und Gonzales war es eine Premiere. Die beiden gingen nie aus. Wann immer Newkirk mit ihnen zusammen war, musste er jeden Weg beschreiben, obwohl auch er nicht länger in der Gegend lebte als sie.
Dreieinhalb Stunden hatten sie damit verbracht, in der Nähe der Highways und alten Holzfällerwege bei Oscar Swanns Haus nach Annie und William Taylor zu suchen, ohne auch nur eine Spur zu entdecken. Die dichten Wälder mit den eng beisammenstehenden Bäumen waren stellenweise
unpassierbar und so finster, dass man selbst mit einer leistungsstarken Taschenlampe kaum etwas sah. Die beiden Kinder konnten sich sonst wo verstecken und waren klein genug, um sich ungehindert zu bewegen, wie die Kaninchen. Allenfalls in der Nähe einer Straße hätte man eine Chance gehabt, sie zu finden, ansonsten war es unmöglich. Swann hatte ihnen ihre Fußabdrücke in der Nähe seines Schweinepferchs gezeigt, doch schon dreihundert Meter hinter seinem Haus lagen die Tannennadeln so hoch, dass man keine Spuren mehr sah. Aber es war sowieso sinnlos, sie konnten überall sein.
Singer hatte einen Frequenzscanner in seinem Geländewagen, und während sie in der Nähe von Swanns Haus suchten, hatten sie im Polizeifunk gehört, was der Einsatzleiter durchgab. Monica Taylor hatte wiederholt im Büro des Sheriffs angerufen, und der Einsatzleiter erzählte einem Deputy, die Mutter habe erklärt, ihre Kinder seien nach der Schule nicht nach Hause zurückgekehrt. Das Ganze wurde als Routineangelegenheit betrachtet; man ging davon aus, dass die Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit später am Abend wieder auftauchen würden. Bis jetzt war bei der Polizei niemand übermäßig alarmiert.
Newkirk fühlte sich benommen, fast so, als wäre er nicht wirklich da. Er war müde, verdreckt und hungrig. Sein Haus hatte er den ganzen Tag über nicht gesehen. Das erste Glas Bier aus dem Krug, den Gonzales an der Theke geholt hatte, trank er auf nüchternen Magen. Er kippte ein zweites und schenkte Gonzales und Singer nach. Das Bier schmeckte herb und gut.
»Das ist jetzt eine kritische Phase«, sagte
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