Stumme Zeugen
dazu
bringen, es ihnen zu erzählen. Versteht ihr, was ich damit sagen will?«
Annie nickte und spürte, wie sie erneut von Angst gepackt wurde.
»Also, ich gehe jetzt telefonieren«, wiederholte Swann. Er war einer von jenen Erwachsenen, die glaubten, alles zweioder dreimal erklären zu müssen, ganz so, als würden sie und William einer anderen Spezies angehören. »Ich kenne ein paar Leute, die eventuell eine leise Ahnung haben könnten, was los ist. Bis ich es selbst weiß, möchte ich niemanden einer Gefahr aussetzen, eure Mutter eingeschlossen.«
»Werden Sie den Sheriff anrufen?«, fragte Annie. »In seinem Büro wird man wissen wollen, was passiert ist.«
Swann musterte sie und antwortete nicht sofort. »Wenn ich ein paar mehr Informationen habe, werde ich die zuständigen Behörden benachrichtigen«, sagte er schließlich.
»Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.« »Vertraut mir einfach.« Er verschwand im Flur. Wahrscheinlich geht er in sein Arbeitszimmer, dachte Annie. Sie hörte, wie sich eine Tür schloss, dann das Geräusch eines sich drehenden Schlüssels. Warum hält er das für notwendig?, fragte sie sich.
Sie wandte sich ihrem Bruder zu. »Wie kannst du jetzt nur essen?«
»Ich hab Hunger«, antwortete er mit vollem Mund.
Nach einigen Minuten stand Annie auf, um sich an der Spüle die Hände und das Gesicht zu waschen. Als sie sich mit einem Geschirrtuch abgetrocknet hatte, blickte sie aus dem Fenster. Draußen brach die Sonne durch die Wolken,
doch sie würde bereits in wenigen Minuten hinter den Baumwipfeln versinken. Nicht mehr lange, und es war dunkel. Dann wollte sie nicht mehr in Mr Swanns Haus sein, und sie fragte sich, warum das so war.
Im Gegensatz zum Haus ihrer Mutter herrschte hier Totenstille. Nur gelegentlich hörte man von draußen das Grunzen der Schweine oder das Trillern eines Vogels.
William verputzte weiter Plätzchen. »Du solltest dich auch waschen«, sagte sie mit einem Blick auf seine schmierigen Hände.
Er zuckte nur die Achseln und aß weiter.
»Mr Swann ist nett«, sagte er kurz darauf. »Was für ein Glück, dass er uns aufgelesen hat.«
Sie wies mit einer Kopfbewegung auf die Fotos über dem Kamin im Wohnzimmer. »Er ist auch Polizist.«
»Wahrscheinlich hat er ein paar Pistolen hier. Glaubst du, er zeigt sie mir?«
»Warum?«
William wirkte überrascht. »Weil Knarren cool sind.«
Annie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Hast du nicht eben gesehen, was Waffen anrichten? Denk an den armen Mann.«
»Genau deshalb brauchen wir sie. Damit uns nicht das Gleiche passiert.«
Sie hatte nicht vor, mit ihm über dieses Thema zu diskutieren.
William lehnte sich zurück. »Ich will nach Hause«, sagte er. »Was glaubst du, wann bringt er uns zurück?«
Annie blickte auf die geschlossene Tür auf der anderen Seite des Flures. »Keine Ahnung.«
»Vielleicht sollten wir anklopfen.«
Annie schüttelte den Kopf. »Ich muss aufs Klo.«
»Komm schnell zurück«, rief er ihr nach.
Als sie an der abgeschlossenen Tür des Arbeitszimmers vorbeikam, hörte sie Swanns tiefe Stimme, aber sie konnte nichts verstehen. Irgendwie kam es ihr so vor, als würde er absichtlich leise sprechen.
Das Bad war am Ende des Korridors. Sie schaltete das Licht ein und schloss die Tür. Wie überall im Haus war auch hier alles blitzsauber. An einer Wand hing ein imitiertes altes Blechschild, auf dem stand, baden koste einen Nickel, sich rasieren lassen einen Dime. Selbst die Handtücher hingen ordentlich aufgefaltet über einer Stange. Allmählich glaubte sie zu begreifen, warum ihre Mutter und Mr Swann nicht miteinander klargekommen waren.
Als sie sich im Spiegel betrachtete, war sie geschockt, wie blass und ungepflegt sie aussah. Ihr blondes Haar war unordentlich, es hingen noch ein paar Fetzen von Laub darin. Ihre Kleidung war mit Schlamm verschmiert. Ihr Blick war leer, und sie entdeckte eine Schramme auf ihrer Wange, von der sie nicht wusste, wo sie sie sich geholt hatte. Bis jetzt hatte sie nichts davon bemerkt, doch als sie den Kratzer sah, begann er zu schmerzen.
Nachdem sie die Wasserspülung betätigt hatte, verließ sie das Bad so leise, wie sie es betreten hatte. Mr Swanns Schlafzimmer war groß und dunkel, und sie spähte durch die Tür. Sein Bett war ordentlich gemacht, es lagen keine Kleidungsstücke auf dem Boden.
Obwohl sie wusste, dass es nicht richtig war, trat sie ein und blickte sich um. An einer Wand hingen ein paar gerahmte
Fotos, über der
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