Stumme Zeugen
Sie und ihre Tochter, diese kleine Hexe, sind gegen mich.«
Sohn und Tochter, dachte Newkirk. Taylor.
»Dann sind die beiden allein unterwegs, was?« Sofort wurde Newkirk bewusst, dass er besser geschwiegen hätte. Boyd hatte nichts davon gesagt, dass die Kids sich selbstständig gemacht hatten. Doch es spielte keine Rolle, Boyd war nichts aufgefallen.
»Die Kleine hat meine Angelrute geklaut. Von Sage, hat mich sechshundert Dollar gekostet!«
»Das ist bitter.«
»Ein guter Rat, mein Freund.« Boyd packte Newkirks Arm. »Man darf sich nie mit einer Frau mit Kindern einlassen.«
»Ich bin verheiratet und habe selbst Kinder.«
»Das ändert nichts«, sagte Boyd mit einem dümmlichen Lächeln. »Die Frauen sind immer gegen uns und behalten
die Oberhand. Gegen Frauen, Kinder und Schwuchteln sind wir in der Unterzahl. Wir Männer sind eine bedrohte Spezies, genau wie die beschissenen Eulen, wegen denen in den Wäldern keine Bäume mehr gefällt werden dürfen.«
»Das kannst du laut sagen«, rief der alte Arbeiter vom anderen Ende der Bar. Er hob sein Glas und prostete Boyd zu.
»In meinem Laden können wir auf gute Ratschläge verzichten, Tom«, sagte der Barkeeper, während er Newkirk den Krug reichte. »Soll ich’s auf den Deckel schreiben?«
»Genau, und schenken Sie meinem neuen Freund hier noch einen ein.«
Als er an den Tisch zurückkam, sagte Newkirk zu den beiden anderen: »Ihr werdet es nicht glauben, ich habe gerade Monica Taylors Freund kennengelernt. Und wir haben ein Problem. Seinen Worten nach wartet sie darauf, dass der Sheriff zurückruft. Möglicherweise entwickeln sich die Dinge schneller, als wir gedacht haben. Meiner Ansicht nach werden sie einen Suchtrupp zusammenstellen. Was ist, wenn sie die beiden finden?«
»Um Himmels willen«, sagte Gonzales aufgebracht. »Weiß es schon alle Welt?«
»So würde ich das nicht sehen. Er hat gerade erst mit ihr telefoniert.« Newkirk schüttelte den Kopf. »Er sagt, sie hat ihn rausgeschmissen.«
Singer blickte Newkirk mit ausdrucksloser Miene an und gestattete sich dann ein dünnes Lächeln. »Für mich gibt es kein Problem«, sagte er. »Ich sehe eine Chance.«
»Was?«
»Siehst du, wie gut sein Gehirn funktioniert?«, sagte Gonzales bewundernd.
Sie warteten, bis Marty sich weigerte, Boyd noch einen Drink einzuschenken. Während der um einen letzten Whisky bettelte, gingen Gonzales und Singer nach draußen.
Newkirk bezahlte an der Bar den Deckel, während Boyd auf dem Weg nach draußen von Tisch zu Tisch stolperte.
Als Newkirk auf den Parkplatz trat, sah er Singer und Gonzales mit Boyd in der Nähe der einzigen Laterne stehen. Boyd lehnte an dem UPS-Lieferwagen. »Sicher, dass Sie noch fahren können, Mister?«, hörte er Gonzo fragen.
»Mir geht’s gut«, lallte Boyd. »Übrigens, ich fahre nicht nach Hause, sondern zu Monica. Wir haben einiges zu klären.«
Newkirk trat zu ihnen und sah etwas aus der Hintertasche von Gonzales’ Jeans hervorschauen. Als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, erkannte er den Taser vom Typ »Stun Monster«, der ihm noch von seiner Zeit bei der Polizei vertraut war. 650 000 Volt. Das LAPD hatte den Gebrauch der Elektroschockwaffe nach ein paar Todesfällen verboten, doch Gonzo hatte sich nie darum geschert.
»Nett, dass Sie so hilfsbereit sind, aber ich muss jetzt verschwinden«, sagte Boyd. »Übrigens, woher kommen Sie?«
»Raten Sie mal«, sagte Singer.
»Vermutlich aus L. A.« Er grinste. »Wie die Hälfte der Zuzügler hier oben.«
»Richtig getippt«, sagte Gonzales, der auf Boyd zutrat, als wollte er ihm beim Einsteigen in den Lieferwagen helfen. Newkirk sah im schwachen Licht der Laterne den Taser funkeln, der im nächsten Moment Boyds Hals traf, mit lautem Knistern und grellen Lichtblitzen. Boyd kippte wie ein mit Steinen gefüllter Sack in die offene Tür auf der Fahrerseite.
Seine Glieder zuckten krampfhaft, als sie ihn in den Lieferwagen hievten und in den Laderaum schleiften. Zwischen den Kartons liegend, schlug er mit den Beinen aus. Ein Stiefel traf Newkirk am Schienbein, und er wäre fast gestürzt. Von Boyds Hals stieg der übelkeiterregende Geruch verbrannten Fleisches auf. Die Elektroschockwaffe hatte seine Neurotransmitter ausgeschaltet, sodass er keine Kontrolle mehr über seine Glieder und Muskeln hatte. Auch nicht über den Schließmuskel seiner Blase.
»Ganz schön schwer, der Dreckskerl«, sagte Gonzo, der Boyd auf den Bauch rollte und ihm Handschellen anlegte.
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