Stumme Zeugen
beiden Enden durch ein Tor und bewaffnete Wachtposten gesichert war. Als das Geld gezählt und der Betrag mit dem Ergebnis des Computers abgeglichen war, wurde es mit Banderolen versehen und in Säcken verstaut, insgesamt vierzehn, die jeweils zwischen 900 000 und einer Million Dollar enthielten, außerdem Kreditkartenbelege. Auf ein Signal hin öffneten Sicherheitsbeamte die Tür, und die Männer aus den Geldtransportern kamen herein, um die mit Draht verschnürten Säcke abzuholen. An jenem Tag wurden acht davon in dem ersten Geldtransporter verstaut, sechs im zweiten. Der Fahrer des zweiten Wagens war ein junger Familienvater namens Steve Nichols.
Wie immer warteten die Fahrer der Geldtransporter, bis das letzte Rennen des Tages begonnen hatte. Wenn danach Tausende von Besuchern zu ihren Autos strömten, wollten sie verschwunden sein. Zudem war es den Betreibern der Rennbahn wichtig, dass die Besucher nicht sahen, wie das von ihnen verspielte Geld abtransportiert wurde.
Als der Startschuss für das letzte Rennen fiel und die Geräuschkulisse anschwoll, öffneten die Wachtposten von Hand das Tor, und die Geldtransporter fuhren über eine Straße davon, die nur von Angestellten benutzt werden durfte und zu beiden Seiten durch dichte Baumreihen gegen Blicke abgeschirmt war. Sie führte zum hinteren Ende des Parkplatzes, wo man in der flimmernden Hitze das Plakat des PURRFECT AUTO SERVICE kaum noch lesen konnte.
Villatoro war zum südlichen Ende der Rennbahn gegangen, von wo aus man den Huntington Drive sehen konnte.
Auf das Geländer gelehnt, stellte er sich die beiden Geldtransporter vor, die, von den johlenden Zuschauern unbemerkt, in Richtung Osten fuhren, an der Holy Angel School und am Salter Stadium vorbei.
An jenem Tag hatten die Fahrzeuge an der Kreuzung des Huntington Drive und des Santa Anita Boulevard vor einer roten Ampel halten müssen. Sie wollten nach links auf die Zufahrtsstraße zur Interstate 210 abbiegen, die nach Los Angeles und zu ihrer Bank führte. Doch an der Kreuzung passierte etwas Unvorhergesehenes.
Ein Mann, der am Huntington Drive seinen Hund ausführte, sah aus einer Entfernung von zweihundert Metern, wie dichter, gelblich-brauner Rauch aus dem zweiten Geldtransporter quoll. Seinen Worten nach hatte sich unmittelbar darauf die Hecktür geöffnet, und die bewaffneten Sicherheitsbeamten hatten das Fahrzeug verlassen. Bei der polizeilichen Ermittlung kam heraus, dass sich in den Geldsäcken Behälter mit Tränengas befunden hatten, das mittels einer Fernbedienung freigesetzt worden sein musste. Die Sicherheitsbeamten hätten sich schmerzgepeinigt auf dem Asphalt gewälzt, gab der Zeuge zu Protokoll, doch irgendwann sei der Rauch so dicht gewesen, dass er kaum noch etwas habe sehen können. Allerdings habe er Motoren aufheulen gehört und quietschende Reifen, kurz darauf Schüsse. Die Polizei nahm an, dass die Diebe auf dem Parkplatz der H. N. & Francis C. Berger Foundation auf der anderen Seite der Kreuzung gewartet hatten und dass sich zwei Fahrzeuge, über die nichts bekannt war, den Geldtransportern genähert hatten. Die Täter waren bewaffnet gewesen und mussten Gasmasken getragen haben, als sie das Geld
stahlen und Steve Nichols töteten, den Fahrer des zweiten Geldtransporters.
Der einzige Augenzeuge, der Mann mit dem Hund, hatte sofort kehrtgemacht und war weggerannt. Folglich konnte er nicht sagen, ob die Diebe in Richtung L. A. oder in östlicher Richtung nach San Bernardino geflüchtet waren.
Da es nie eine verlässliche Beschreibung gegeben hatte, wurden keine Fahrzeuge gefunden, die mit dem Raub in Verbindung gebracht werden konnten.
Weil sich die Tränengasbehälter in den Säcken befunden hatten, wurden die Angestellten, die das Geld gezählt hatten, umgehend getrennt vernommen. Die Polizei kam zu dem Ergebnis, mehrere von ihnen seien in das Verbrechen verstrickt, und es meldete sich ein Zeuge, der bereit war, Namen zu nennen. Obwohl die Geldzähler ihre Unschuld beteuerten, wurden drei von ihnen zu Haftstrafen verurteilt. Zuerst die Chefkassiererin, eine Frau mit Vornamen Anita, die in den Abendnachrichten nur noch als »Anita aus Santa Anita« firmierte.
Ein halbes Jahr nach dem Raubüberfall hatte Villatoro zum ersten Mal Steve Nichols’ Witwe besucht. Sie war eine junge hübsche Frau, Mutter eines Kleinkindes und im achten Monat schwanger. Ihr Mann hatte zwei Jobs gehabt, damit sich die Familie das kleine Haus in Tustin leisten konnte. Durch seinen Tod hatte sie
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