Stumme Zeugen
nachzudenken. Newkirk kannte Singer und wusste, dass er am gefährlichsten war, wenn er äußerlich ruhig wirkte.
»Okay«, sagte Singer mit einem dünnen Lächeln. »Sie sind der Sheriff. Wir sind hier, um zu helfen, nicht, um Ihnen zu sagen, was Sie zu tun haben. Aber Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass es nicht mehr Ihr Fall ist, wenn das FBI hinzugezogen wird. Sie werden alles unter die Lupe nehmen. Die Art und Weise, wie Sie an den Fall herangegangen sind, die Organisation Ihrer Dienststelle, alles. Falls sie Boyd und die Leichen nicht finden, werden sie es Ihnen in die Schuhe schieben und sagen, bei den Ermittlungen sei von Anfang an alles schiefgelaufen. Sie werden stündlich Pressekonferenzen abhalten und letztlich Sie anschwärzen. Das haben Sie nicht verdient, Sheriff. Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen und sich den Arsch aufgerissen, genau wie wir. Aber letztlich, wie es auch ausgehen mag, sind da die Wähler, die denken werden, Sie hätten zu lange gefackelt und das FBI erst gerufen, als der Karren bereits im Dreck steckte. Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten die letzte
Wahl mit einundfünfzig Prozent gewonnen? Wie viele Stimmen braucht es, damit das Pendel in die andere Richtung schwingt? Keine hundert, schätze ich. Wie viele Menschen werden glauben, Sie hätten Scheiße gebaut, obwohl es nicht so war? Ich lebe noch nicht lange hier, aber lange genug, um zu wissen, dass die Bürger vom Staat und Institutionen wie dem FBI eigentlich nichts halten. Sie sind sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Warum sollten sie einen Sheriff wählen, der sofort das FBI ruft, weil er nicht weiß, was er als Nächstes tun soll?«
Carey hörte schweigend zu, die ganze Zeit Singer anblickend. Dann schaute er zu Gonzales hinüber, der mit vor der Brust verschränkten Armen dasaß und von ihm enttäuscht zu sein schien. Schließlich kam Newkirk an die Reihe, und der sagte: »Tun Sie, was Sie tun müssen, Sheriff.«
Carey stand auf. »Zwölf Stunden«, sagte er. »Genau so viel Zeit bleibt Ihnen, um die Dinge zu klären. In Coeur d’Alene gibt es einen Mann mit Bluthunden, der bei Bedarf für uns arbeitet. Und wir müssen einen Haftbefehl erlassen und eine Großfahndung auslösen, damit das ganze Land die Augen offen hält. Wir sagen, er sei bewaffnet und gefährlich. Doch wenn wir in zwölf Stunden weder Boyd noch die Leichen gefunden haben, schalte ich das FBI ein.«
»In Ordnung«, sagte Singer.
Newkirk starrte Singer an. Was denkt er? Glaubt er wirklich, in zwölf Stunden ans Ziel zu kommen?
Carey verließ den Raum und schloss die Tür, riss sie aber sofort noch einmal auf und steckte den Kopf hindurch. »Sie bitten doch Swann, dass er es der Mutter sagt?«
»Wird gemacht«, antwortete Singer. »Über das Geständnis
möchte ich die Öffentlichkeit noch nichts wissen lassen. Falls möglich, sollten wir das mindestens bis morgen unter der Decke halten.«
»Ich werde die Presse von der Großfahndung unterrichten«, sagte Carey. »Bis dahin werden sie wahrscheinlich weiter Beiträge über die weißen Rassisten senden, die hier mal ihr Unwesen getrieben haben.«
Singer wartete, bis der Sheriff endgültig verschwunden war, und wandte sich dann Gonzales und Newkirk zu.
»Damit bleibt uns der heutige Tag, um die Kinder zu finden.«
»Scheiße«, sagte Gonzales. »Vielleicht war das mit dem Video doch keine gute Idee.«
Singer schüttelte den Kopf. »Nein, sie war genau richtig. Der Sheriff hegt keine Zweifel mehr, wer der Täter ist, und deshalb haben wir das Video schließlich gemacht.«
»Und wenn das FBI es sich ansieht?«, fragte Newkirk. »Was ist, wenn sie herausbekommen, wo wir Boyd gefilmt haben? Oder wenn sie bemerken, wie er fragend in Gonzos Richtung blickt, um zu sehen, ob er alles richtig gemacht hat? Außerdem glaube ich, Verbrennungsspuren von dem Taser über seinem Kragen erkannt zu haben, als er den Kopf drehte.«
Singer bedachte ihn mit einem kalten Blick, und Newkirk verstummte.
»Wir haben dem Sheriff ein Geständnis geliefert, Newkirk. Für ihn ist das ein Geschenk des Himmels. Er wird darüber nachdenken und einsehen, dass er besser ist, wenn diese Akte bald geschlossen wird.«
»Was ist, wenn du dich irrst? Auf mich wirkte er ziemlich entschlossen.«
»Dann müssen wir uns um das Problem kümmern. Wir werden ihm immer einen Schritt voraus sein. So schwer ist das nicht.«
Gonzales zeigte auf die an der Wand hängende Karte des County. »Wo sind bloß diese
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